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El Salvador: Portables Land - Erinnerung und Identität (Teil 2) (Teil 1)
Das Museo de la Palabra y la Imagen (MUPI), Museum von Wort und Bild, in San Salvador beschäftigt sich mit der Erforschung und der Verbreitung salvadorianischer Geschichte und Kultur. Es umfasst einen Ausstellungs- und einen Projektionsraum sowie ein einmaliges historisches Archiv. Schwerpunkt sind Wanderausstellungen im ganzen Land um dem salvadorianischen Volk seine historische Identität und Erinnerung näher zu bringen. Das Projekt dazu entstand nach dem Bürgerkrieg, um diesen und andere historische Ereignisse aufzuarbeiten und dem Vergessen entgegen zu wirken.
Erinnerung, Identität, Erdbeben und "paramientrismo"
Als wir gerade die Cordillera del Bálsamo in einem Flugzeug der venezolanischen Solidarität überflogen, wurde das Jahrhundert von zwei Erdbeben eingeläutet. Wir sahen am Horizont die Wunden, die sie hinterlassen hatten und fragten uns: "Welche Antwort kann das MUPI auf solch eine Tragödie und den damit verbundenen Schmerz geben?" Und so kamen wir dazu uns mit dem Thema der Naturphänomene in der salvadorianischen Geschichte zu beschäftigen.
Wir fragten uns: "Welche Auswirkungen haben Überflutungen, ständige wiederkehrende Erdbeben und Erdrutsche, bis hin zu dem Tsunami, der unsere Küste 1902 heimsuchte, auf die Salvadorianer gehabt?"
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Zurück in El Salvador begaben wir uns auf die Suche nach Bildern, Dokumenten und Objekten, die in einem direkten Bezug zu Naturkatastrophen in unserem Land standen. Das Ergebnis ist eine Ausstellung, der wir den Namen einer mythischen Figur aus dem Popol Vhu gaben: "Kab Rakan, die Wut der Götter". Und wir schickten diese als Wanderausstellung in abgelegene Orte El Salvadors, um der Bevölkerung vor Augen zu halten, dass sich beispielsweise das Phänomen des Erdbebens gerade in El Salvador jederzeit wiederholen kann. Wir hoffen damit auch ein Bewusstsein für präventive Maßnahmen zu schaffen und der Philosophie des "paramientrismo" (paramientras: vorübergehend), der ewigen Übergangslösung, entgegen zu wirken. Denn noch heute findet man endlos viele Plastik- und Zinkbauten aus dem Erdbebenjahr 1986, die lediglich vorübergehend (paramientras) sein sollten.
Wir glauben, dass dieses gelebte Schicksal, das Erbauen und das durch Katastrophen Zerstörte Aufbauen, dieses Auseinandernehmen und Zusammenfügen, das uns die Realität abverlangt, ein wichtiger Schlüssel im dynamischen Prozess unserer Identitätsentwicklung ist.
Erinnerung und soziale Taten
Vier Jahre lang suchten wir in abgelegenen Bezirken im Westen und Zentralsalvadors überlebende Indigenas des Massakers von 1932 auf, verübt unter der Diktatur des Generals Hernández Martínez, um zu erkennen, dass das kollektive Gedächtnis der Zeitzeugen in starkem Widerspruch zur geschriebenen Geschichte steht.
Siebzig Jahre lang wurde von den Betroffenen über die Vorkommnisse während des Völkermords nur im aller engsten Familienkreis gesprochen. Trotzdem konnten wir die Zeitzeugen dazu bewegen, uns an ihren Erinnerungen teilhaben zu lassen.
Es entstand die Dokumentation "1932 Narbe des Gedächtnisses": audiovisuelles Material, das bisher tausende von Zuschauern im ganzen Land gesehen haben. Wir hoffen, dass unsere Reihe "Erinnerung und soziale Taten" die Gemeinden dazu ermuntert, über Identität nachzudenken und kommunale Geschichte selbst festzuhalten.
Die Gemeinden haben uns gezeigt, dass die Geschichte nicht nur den hinter Bergen von offiziellen Papieren sitzenden Historikern gehört. Die gegenwärtigen Konzeptionen der Historiographie schaffen neue Ansichten des Historischen. Die Geschichte will auch denen ohne Namen gehören, jenen Anderen, die sie im Schatten erleben.
Dieses Aus-Dem-Schatten-Heraustreten schaffen immer mehr Gemeinden in ganz El Salvador, indem sie die Türen ihrer Erinnerungen öffnen und ihre Identitäten stärken, dynamisch und im ständigen Wechsel, und ihren Willen zeigen, sich weiterhin zu erfinden, um ein Land zu erbauen, das der Globalisierung des Gewissens und der postmodernen Fundamentalisten trotzt.
Vor kurzem hat das "Museo de la Palabra y la Imagen" eine Ausstellung anlässlich des hundertjährigen Jubiläums von San Antonio Abad in der Kirche der gleichnamigen Gemeinde eröffnet. Es wurden Manuskripte des 19. und 20. Jahrhunderts und Masken und Kleidungen der "Historiantes" (Geschichtenerzähler) präsentiert. Maßgeblich an diesem Projekt waren Jugendliche beteiligt, die sich weigern ihr lokales kulturelles Erbe aussterben zu lassen - und sich der universellen Wirkung des populären Theaters bedienten, das auch in dieser, vom großen San Salvador eingeschlossenen, Gemeinde weiterlebt.
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An diesem Tag war das Dorf erfüllt vom Klang der Flöten und Trommeln, von tanzenden Jugendlichen, die ihre Geschichte mit Stolz in sich trugen, von Feuerwerk, das die Nacht San Salvadors erleuchtete. |
Es waren diese Raketen, die aus den Händen der jungen Leute aus San Antonio Abat in den Himmel stiegen, um die imaginären Grenzen einer Gemeinde aufzuzeigen, einer Insel inmitten der Stadt, die sich weigert zu sterben, die den invasiven Tsunamis der riesigen Einkaufszentren standhält, die uns eine Kopie Miamis anbietet, um Mac Donalds oder Kentucky Fried Chicken dort zu pflanzen, wo zuvor Regenwald herrschte und vom Aussterben bedrohte Vogelarten lebten.
Inmitten der Dunkelheit zeichnet uns das Schießpulver der Feuerwerkskörper ein imaginäres Land, ein Land zum Mitnehmen, ein Land, das uns ruft.
Text + Fotos: Carlos Henríquez Consalvi (Gründer des Museo de la Palabra y la Imagen)
Übersetzung: Camila Uzquiano
Adresse des Museums
Museo de la Palabra y la Imagen
27 Av. Norte, #1140, Urb. La Esperanza
San Salvador. El Salvador
PBX: (503) 2275-4870
http://www.museo.com.sv
Der AutorCarlos Henríquez Consalvi, besser bekannt unter dem Pseudonym "Santiago", wurde in den venezolanischen Anden geboren. In Caracas studierte er Journalismus. Nach einem längeren Aufenthalt in Nicaragua und nach dem Fall der Somoza Diktatur kam er im Dezember 1981 nach El Salvador um den Guerilla-Radiosender Venceremos zu gründen. Im Januar 1992 kehrte er aus den Bergen Morazáns in die Hauptstadt San Salvador zurück um von den Friedensverhandlungen zu berichten.