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[art_1] Spanien: San Cristóbal de La Laguna
Europäische Stadt in Afrika als Modell für spanische Städte Amerikas

...die Stadt ist quadratisch, und ebenso lang wie breit. Es maß also (der Engel) die Stadt mit einem Stab aus Gold...
(Apokalypse 21,16)

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Die erste spanische "Kolonialstadt"
Nach dem Fall Konstantinopels 1452 glaubten viele Christen in Europa, dass das letzte Zeitalter mit der Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse auf Erden begonnen hätte. Viele einflussreiche Kleriker, vor allem Angehörige der Bettelorden, Dominikaner und Franziskaner, widmeten sich verstärkt dem Studium der Apokalypse des Johannes, in dem nicht nur diese letzte Schlacht, sondern auch das "Himmlische Jerusalem", die Stadt Gottes beschrieben wird, in die alle Geretteten nach dem Jüngsten Gericht einziehen werden.

Und es war ein katalanischer Franziskanermönch, Francesc Eiximenis aus Girona, der sich in seinem Werk "Regiment de la cosa publica" bei der Beschreibung einer Idealstadt direkt von der eingangs zitierten Vision in der Apokalypse inspirieren ließ. Dieses erstmals 1484 posthum publizierte Werk hatte großen Einfluss auf den Erzbischof von Toledo und späteren Regenten Kastiliens, Kardinal Cisneros – und durch ihn, den Beichtvater der Königin Isabella, auch auf die Katholischen Könige.

Nach der Eroberung von Granada und der Entdeckung Amerikas 1492 ließen sich die spanischen Könige bei der Frage, wie denn die neu zu gründenden Städte in ihren Überseeterritorien auszusehen hätten, in hohem Maß von den Angaben des Eiximenis zur christlichen "Idealstadt" leiten. Doch die erste neue Stadt, auf die diese neuen "quadratischen Vorstellungen" angewendet wurden, lag zwischen Europa und Amerika: die 1496 vom Eroberer Alonso Fernández de Lugo gegründete Hauptstadt der Kanarischen Inseln San Cristóbal de La Laguna.

Galerie

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Rundgang



Iglesia de la Concepción [zoom]
Kirchen, Paläste und ein Museum mit wandelndem Gespenst
Beginnen kann man eine Besichtigung dieser endgültig um 1500 nach einem von den Katholischen Königen autorisierten Plan systematisch entworfenen Modellstadt zum Beispiel mit der ältesten Kirche von La Laguna.

Die Iglesia de la Concepción wurde nach der Eroberung an der Stelle einer provisorischen Kapelle ab 1511 als Hallenkirche im Renaissancestil errichtet.

Der interessante Glockenturm, der isoliert neben der Kirche steht, wurde erst im 18. Jahrhundert vollendet und dann zum Wahrzeichen der Stadt.

Er ist sieben Stockwerke hoch und ein originelles Detail stellt die offene Turmhaube dar. Innen sind besonders die kunstvoll ornamentierten Holzdecken und das Chorgestühl aus Zedernholz sehenswert.


Glockenturm, Iglesia de la Concepción [zoom]


Und es ist ein aufregendes Gefühl, sich vorzustellen, dass in diesem Tempel schon die spanischen Konquistadoren niederknieten zum Lob des Allmächtigen, vor dem sie für das gute Gelingen beim Bau der Hauptstadt der "glückseligen Inseln" beteten – und neben ihnen lernten die missionierten Guanchen ihre ersten Gebete in Latein – sofern sie nicht auf dem Sklavenmarkt von Sevilla verkauft worden waren.

Aus Sevilla kamen auch viele der neuen Siedler und die Kunsthandwerker, die in den Kirchen von La Laguna die wunderbaren, mit bunten Ornamenten und maurischen Sternenmustern versehenen Holzdecken im Mudéjarstil anbrachten. Dabei gehören die Deckentäfelungen der Iglesia de la Concepción zu den schönsten auf Teneriffa.

Übertroffen werden sie vielleicht vom Mudéjar-Dachstuhl in der Kirche Nuestra Señora de los Dolores, die sich neben der Ruine des Klosters San Agustín befindet, das 1972 ausgebrannt ist. Ein sechzehnstrahliger Stern schmückt dort den Querbalken der prächtigen Deckenkonstruktion, die sich über dem vergoldeten Hauptaltar wölbt.
Nuestra Señora de los Dolores [zoom]

In der Harmonie der Proportionen übertreffen diese beiden Kirchen vielleicht die der "Virgen de Los Remedios" geweihten Kathedrale von La Laguna, der man die lange Bauzeit und die gewagte Stilkombination ansieht. Zunächst entstand hier 1511 eine Kapelle, erst im 17. Jahrhundert wurde sie durch eine deutlich größere Barockkirche ersetzt, die wiederum Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts erweitert und durchgängig im klassizistischen Stil umgestaltet wurde. Offiziell zur Kathedrale erhoben wurde dieser Tempel erst 1819 und die heutige Fassade wurde 1825 vollendet. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Hauptschiff nochmals verändert. Dabei setzte man ein damals neues Material ein: Beton. Von außen präsentiert sich der Bau mit der schönen Kuppel erstaunlich einheitlich.

In der Kirche Santo Domingo dagegen ziehen die modernen, im 20. Jahrhundert von Mariano Cossío gemalten, Fresken durch ihre Größe und auffälligen Farben alle Aufmerksamkeit auf sich – und lenken doch sehr ab von den alten Kunstwerken der Barockepoche, deren Skulpturen sich rund um den Altarraum konzentrieren.

[zoom] Santo Domingo
Glockenturm, Santo Domingo [zoom]


Beim Gang durch die schönen Straßen des UNESCO-Weltkulturerbes La Laguna kommt man vorbei an zahlreichen Palästen aus dem 16. - 18. Jahrhundert, die sich mit Vorliebe in sonnengelb oder atlantikblau präsentieren. Einer dieser Paläste, die 1593 erbaute Casa Lercaro, hat ein ereignisreiches Innenleben. Damit ist nicht das Museum der Geschichte Teneriffas gemeint, sondern das Gespenst der Catalina Lercaro, die in den Räumen des Palasts herum geistert – so schwören jedenfalls die verängstigten Angestellten des Museums.

Die schöne, unglückliche Catalina wurde gegen Ende des 16. Jahrhunderts gegen ihren Willen gezwungen, einen reichen Mann zu heiraten, der so alt war wie ihr Vater. Noch in der Hochzeitsnacht stürzte sie sich in den tiefen Brunnen im Patio, wo sie zu Tode kam.


Palastfarben: Sonnengelb und Atlantikblau [zoom]


Die Kirche verweigerte wegen des Selbstmords ein normales Friedhofs-Begräbnis, und so wurde die Unglückliche im Innenhof begraben. Seitdem wandelt ihr Geist durch die Säle des Museums, was immerhin die Besucherzahlen etwas steigen lässt. Immer wieder berichten die Angestellten, dass sich die Türen von selbst öffnen oder schließen und Schritte zu hören sind in Räumen, wo sich niemand aufhält...

Ein Schachbrett als Stadtplan
Von außen sieht der Geisterpalast Lercaro aber eher unscheinbar aus. La Laguna hat kein wirklich herausragendes Einzelmonument, es ist das harmonische Gesamtbild, das bezaubert.

Die UNESCO hat deshalb vollkommen richtig entschieden, nicht ein Bauwerk, sondern gleich die gesamte koloniale Altstadt, die erst 1843 die Hauptstadtwürde der Kanaren an Santa Cruz abgeben musste, zum Weltkulturerbe zu erklären. In der Begründung wird darauf hingewiesen, dass La Laguna die erste der vielen spanischen Städte in Übersee war, die planmäßig im Schachbrettmuster angelegt worden war – noch vor Santo Domingo, Lima oder Bogotá.


UNESCO-Weltkulturerbe [zoom]

Obwohl hier nicht jede Straße exakt gerade ist, ist die Grundform der Altstadt in der Tat ein Quadrat aus Quadraten, das auf einer Karte wie ein Schachbrett aussieht. Diese Form geht natürlich nicht nur zurück auf die Worte der Apokalypse und die Vorstellungen des Franziskaners Eiximenis. Es gab viele Einflüsse, die hier zusammen kamen: die Beschreibungen des "Vaters der Architektur", des römischen Architekten Vitruv, der während der Renaissance wieder entdeckt wurde, die bildgewordene Idealstadt, wie sie auf einigen einflussreichen Renaissance-Gemälden mit geraden Linien und quadratischen Stadtvierteln dargestellt wird – z. B. auf einem Werk des berühmten Piero della Francesca. Und es gab ein ganz praktisches Vorbild für La Laguna: das von den Katholischen Königen während der Belagerung von Granada zunächst nur als Feldlager 1491 errichtete Santa Fe. Nach einem Brand in diesem riesigen Heerlager wurden dort vor den Toren Granadas statt der Zelte Häuser aus Lehmmauern gebaut, wobei das ganze Areal in Quadrate unterteilt wurde.

Plaza Iglesia de la Concepción [zoom]
Inmaculada [zoom]

Bei der Planung von La Laguna war aber nicht die erstaunlich konsequent ausgeführte Schachbrettform die eigentliche Sensation, sondern die Tatsache, dass diese neue Hauptstadt einer Insel keine Hafenstadt war. Erbaut in ca. 550 Metern Höhe und 14 Kilometer vom Meer entfernt, konnte man auf Stadtmauern und militärische Bollwerke verzichten.

Dies machte La Laguna – zusammen mit der zeitgleich von Kardinal Cisneros gegründeten Universitätsstadt Alcalá de Henares – zur ersten modernen Stadt überhaupt: zu einer "Friedensstadt" ohne mittelalterliche Mauern. Es waren natürlich nicht nur edle Motive, von denen die Eroberer zu solch revolutionärer Stadtplanung gebracht wurden, sondern auch verwaltungstechnische: die geraden, geordneten Formen ermöglichten eine bessere Kontrolle und Überwachung.


Plaza de la Catedral [zoom]


Außerdem sollten sie den Besiegten (ebenso auf den Kanaren wie wenig später in Amerika) die neue geistige Weltordnung vorführen. Denn am zentralen Platz, dem größten aller Quadrate (manchmal war es allerdings ein Rechteck), lag die Kathedrale und gegenüber meist der Palast des Gouverneurs bzw. Vizekönigs.

So ist es auf der Plaza Mayor von Mexiko, Lima und Bogotá. In La Laguna allerdings waren weltliche und kirchliche Macht auf zwei Plätze verteilt: die Plaza del Adelantado, wo bis 1525 der erste Gouverneur Alonso de Lugo residierte, und die Plaza de la Concepción, auf dem die erste Hauptkirche erbaut wurde, später abgelöst durch den Kathedralsplatz.


La Catedral [zoom]


Der Lebensbaum des Paradieses
Doch nicht nur funktionale Überlegungen spielten eine Rolle bei der Planung und dem Aufbau von La Laguna. Viele der neuen Siedler aus Spanien glaubten, hier das irdische Paradies gefunden zu haben. Dabei kamen wohl viele Mythen zusammen. Die wenigen, die philosophische Schriften gelesen hatten, waren vielleicht überzeugt, hier die Überreste des schon von Platon (Timaios 25) beschriebenen Atlantis wieder gefunden zu haben. Andere erinnerten sich an Prophezeiungen von Propheten des Alten Testaments (z.B. Esdras), die ein paradiesisches Land der Zuflucht im Westen jenseits des Meeres versprachen.

Straßen... [zoom]
...im Zentrum [zoom]

Auf dem berühmten, zwischen 1503 und 1515 entstandenen Gemälde von Hieronymus Bosch, dem "Garten der Lüste", der das (irdische) Paradies darstellt, ist auf dem linken Flügel des Triptychons zwischen vielen exotischen Phantasiewesen ganz deutlich ein kanarischer Drachenbaum zu erkennen. Sicher auch beeinflusst durch die Haltung der Ureinwohner, die dem Drachenbaum (und seinem "Blut") heilende und magische Kräfte zuschrieben, glaubten einige der spanischen Einwanderer, in diesem spektakulären Gewächs, das so ganz anders aussieht als alle Bäume, die man in Europa kannte (es ist ja eigentlich auch kein Baum, sondern botanisch gesehen ein gigantisches Liliengewächs), den heilenden Lebensbaum zu erkennen, der ebenfalls in der Apokalypse des Johannes bei der Beschreibung des Paradieses erwähnt wird.

Drago [zoom]
...der Drachenbaum [zoom]

Und tatsächlich befindet sich auf dem Platz vor der Kathedrale von La Laguna, ebenso wie auf der Plaza del Adelantado und anderen Plätzen der kanarischen Kulturhauptstadt ein Exemplar dieses exotischen "Lebensbaumes" – wie in der Apokalypse des Johannes für das Himmlische Jerusalem bezeugt:
"Inmitten des Platzes der Stadt war der Baum des Lebens ... und die Blätter des Baumes heilen die Menschen..." (Apokalypse 22,2)

Text: Berthold Volberg
Fotos: Berthold Volberg / Dirk Klaiber



Literaturempfehlung:
María Isabel Navarro Segura
"Las fundaciones de ciudades y el pensamiento urbanístico hispano en le era del descubrimiento", in: Scripta Nova
REVISTA ELECTRÓNICA DE GEOGRAFÍA Y CIENCIAS SOCIALES
Universidad de Barcelona.
ISSN: 1138-9788, Depósito Legal: B. 21.741-98, Vol. X, núm. 218 (43), 1 de agosto de 2006
http://www.ub.es/geocrit/sn/sn-218-43.htm

Die Website der Stadtverwaltung von San Cristóbal de La Laguna:
http://www.aytolalaguna.com/

La Laguna in wikipedia:
http://es.wikipedia.org/wiki/San_Crist%C3%B3bal_de_La_Laguna

Platon: "Timaios" 25
Die Heilige Schrift: Apokalypse 21 - 22

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