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[kol_5] Grenzfall: Buenos Aires - Zum Dienstschluss ein Taxi

Nach der Arbeit kann die Heimfahrt mit einem Taxi zuweilen anstrengend werden und trotzdem das kurzweiligste sein, was man sich vorstellen kann.

Sie haben das doch sicherlich auch schon einmal erlebt: Man ist bei Freunden zum Essen geladen, eine kleine Feier mit zehn bis zwölf Leuten soll es werden und bis auf die Gastgeber und ein Pärchen kennt man niemanden. Und obwohl man erst gar nicht in Feierlaune ist, wird es eine wunderbare Nacht werden. Einfach so. Weil man auf jemanden trifft, der einen tief beeindruckt. Mit seinem Charme, seinem Charisma, mit seinen lustigen Geschichten oder einfach nur, weil ihre Augen strahlen und sie schlichtweg in dieser Konstellation das Umwerfendste ist, was man sich vorstellen kann. Nein, wir sprechen nicht vom nächsten Morgen, wir sprechen vom Augenblick, den es bekanntlich ja zu genießen gilt. Am besten immer. Und am einfachsten überall.

Es kommt ja nicht oft vor, dass man in Buenos Aires ein Taxi anhält, hinten einsteigt und dann irgendwann bemerkt, dass irgendwas ein klein wenig anders ist als sonst. Und das schlimmste: dass ich partout nicht benennen kann, woran es liegt. Ist es stickig oder doch so wie immer? Habe ich einfach nur einen schlechten Tag erwischt? Stinkt es hier im Wagen, nimmt der Fahrer nicht die gleiche Strecke, wie sonst oder was ist es, dass mich denken lässt, hier würde etwas anders sein, als eben sonst?

Natürlich darf man in Argentiniens Hauptstadt nicht einsteigen und erwarten, der Taxista würde einen in Ruhe lassen. Im Gegenteil, irgendwo scheint in deren Handbuch zu stehen, zumindest ein Drittel eines Fragenkatalogs abzuarbeiten, ehe man den Fahrgast wieder in die Freiheit entlässt. Und wenn ich sage, dass der Katalog gefühlte 1500 Fragen umfasst, dann ist das wahrscheinlich noch leicht untertrieben. Aber, mal ganz ehrlich, schön ist es ja trotzdem, wenn jemand Anteil nimmt an unserem Leben. Denn selbst wenn hier jeder zweite Porteño zum Psychologen läuft, sind eigentlich die Taxistas die wahren Therapeuten. Oder Professoren. Oder irgendwas dazwischen. Es gibt kaum ein Thema, wo sich ein Taxista nicht auszukennen scheint, zumindest weiß er immer durchaus Sinnvolles beizutragen. Verwunderlich irgendwie. Aber schön. Und unheimlich.

Dabei vermischen sich natürlich jedwede Themen, die den Argentiniern auf den Nägel brennen oder ihnen herzlich egal sind. Schnell oszillieren wir zwischen „Warum es gut ist, dass Cristina die Schulden nicht zurückzahlen will“ und „Warum es Maradonas Ansehen auch nicht schadet, wenn er mal eben einen Fünftligisten unterstützt“. Als Mental-Coach wohlgemerkt. Aber Maradona ist nun mal Maradona und auf ihn lassen sie eh nie was kommen. Interessanter da schon das schwere Thema Nietzsche und Freud, beide gerne in einem Atemzug genannt, wenn es um die Anfänge der Psychoanalyse geht, aber wer hat schon einen Taxifahrer, der einem detailliert die Unterschiede ihrer Denkweisen beleuchtet?

Ob’s stimmt, werde ich nicht mehr nachvollziehen können, ich habe relativ schnell die Zusammenhänge verloren und konzentriere mich eher auf das, was hier irgendwie einfach nicht stimmig ist. Es ist tatsächlich der Geruch, der rein gar nichts mit den Duftbäumen zu tun hat, die hier eigentlich regelmäßig vom Rückspiegel baumeln. Es ist der Geruch von Damenparfüm. Und der nicht vorhandene Duftbaum führt mich auch zum Rückspiegel, wo ich einen Teil einer hübschen Frauenaugenpartie zu sehen bekomme. Gibt’s denn sowas? Jetzt höre ich endlich auch das weibliche in ihrer Stimme, die sich mittlerweile lautstark ein Wortgefecht mit einem anderen Taxi neben uns liefert. Ich hingegen wundere mich noch immer, dass ich das nicht sofort gemerkt habe. Zum ersten Mal werde ich hier von einer Señora nach Hause chauffiert. Zum aller ersten Mal. Bis dato war ich davon ausgegangen, dass dieser Beruf in dieser Stadt ausschließlich Männern vorbehalten ist und auch jetzt dürfte der prozentuale Anteil an Frauen, die mich chauffiert haben, weit unter einem Prozent liegen. Es gibt sie eigentlich nicht. Ob das jetzt ein Fingerzeig ist, dass ich mal wieder die Lotería Nacional  beehren sollte? In jedem Fall ist es ein untrügliches Zeichen, dass nun endlich der Frühling kommen kann.

Text + Fotos: Andreas Dauerer

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