ed 10/2011 : caiman.de

kultur- und reisemagazin für lateinamerika, spanien, portugal : [aktuelle ausgabe] / [startseite] / [archiv]


[kol_1] Grenzfall: Eat more tacos – Redaktionssitzung
 
Der Papst war da. Hat eine – so sagt man – bewegend unnahbare Rede gehalten im Bundestag. Ich hätte sie gerne verfolgt, aber nicht bei dieser monoton himmelhohen, hart gebrochenen Stimme, in der ein Stück des Allmächtigen selbst mitzuklingen scheint. Ich hab es eh nicht so mit der Kirche. Seit die kleine Baggy (Bhagwan-Disco in Köln) dicht ist – das war ca. 10 Jahre nach dem Anschlag auf das Papamobil – tanze ich mich nur noch ab und an in Ekstase, werde wie einst selbst zum Tanz und finde die heilige Tür nach Hause.



Es war daher nur recht einen wichtigeren Termin zurzeit der Bundestagsrede anzusetzen: caiman-Redaktionssitzung. Normal trifft sich die deutsche Redaktion 1-2 mal die Woche mittags zwischen 11 Uhr und 15.15 Uhr. Wir durchstöbern dabei die Kioske nach lateinamerikanischen, spanischen und portugiesischen Bieren. Beim letzten Treffen haben wir San Miguel aus Literflaschen geleert. Das war eine gute Sitzung. Dieses Mal jedoch sollten der caiman-Koch Pancho – kurzzeitig gab es die Überlegung El Bullì auf der Cap de Creus zu übernehmen – mit von der Partie sein. Da lag es natürlich nahe, ein exquisites Lokal anzusteuern: Das Maria Bonita auf der Danziger Straße in Berlin.



Was macht den Laden so besuchenswert?
Es ist wie mit den überkandidelten, teuren Kinderwägen. Gehst du mit deinem Bugaboo übern akademisierten Kollwitzplatz, dann fällst du nicht auf, wegen Bugaboos wie Sand am Meer. Wählst du Neukölln, dann hast du Alleinstellungsmerkmal. Das Maria Bonita mit dem Slogan eat more tacos könnte in ganz Mexiko an jeder x-beliebigen Ecke stehen und würde keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Hier aber sticht es heraus, weil authentisch. Weil offene Küche, einfach, ehrlich, gut. Sogar die Habanero-Soße ist selbstgemacht. Serviert wird wie in der Heimat auf abgenutzten emaillierten Blechtellern. Und Tacos sind hier Tacos. Kleine Maisfladen, drei Stück pro Teller mit frisch gehakten Zwiebeln, gewürfelten Tomaten und reichlich Koriander gereicht. Dazu Bier aus der Flasche oder Margarita aus dem Plastikbecher.



Doch kaum ist der Papst in der Stadt, ist der Laden dicht. In der Not – Panchos Hunger-Laune kommt der Papststimme gleich – betreten wir drei Häuser weiter das Thu Hanoi (vietnamesische Küche) und oh Wunder, erhalten eine ehrliche Cuba Libre zur ausgezeichneten Pho Hanoi (Nationalgericht Nudelsuppe mit Rind oder Hühnchen): 2 Teile Rum, 1 Teil Cola, Limette.

Am nächsten Morgen sind wir verabredet, um uns an der Marathonstrecke zu platzieren. Die lateinamerikanische Pünktlichkeit führt dazu, dass, als wir uns an Kilometer 10 positionieren, unser Favorit Heile Gebrselassie bei Kilometer 36 schon aus dem Rennen ausgestiegen ist. Glücklicherweise laufen über 40.000 Menschen an diesem warmen Herbstmorgen, so sind wir nicht umsonst gekommen sind. Und überraschenderweise hat Pancho an diesem Sinne benebelten Morgen schon in die Küche gewirkt und unzählige Tacos bereitet, die wir nun unter die Läuferinnen und Läufer bringen. Die meisten davon heißen Maria und Benedikt ... ein Hauch von Bergpredigt liegt in der Luft. Die Redaktionssitzung war erfolgreich.



Anmerkung für unsere kleinen Leser: Pancho gibt es zwar, ist aber nicht real. Wir haben weder Tacos an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Berlinmarathons verteilt, noch diese nach ihren Namen gefragt. Die Redaktionssitzung hat im Maria Bonita stattgefunden, denn nichts ist inspirierender als eat more tacos. Die Pho Hanoi im Thu Hanoi ist unschlagbar, aber die Cuba Libre hat noch viel Luft nach oben. Bei den caiman-Redaktionssitzungen wird selten gegessen. Beim Berlin Marathon gab es mindestens einen Läufer im Papstkostüm.

Text + Fotos: Maria Josefa Hausmeister

[druckversion ed 10/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]


© caiman.de: [impressum] / [disclaimer] / [datenschutz] / [kontakt]