ed 09/2016 : caiman.de

kultur- und reisemagazin für lateinamerika, spanien, portugal : [aktuelle ausgabe] / [startseite] / [archiv]


[art_2] Brasilien: Olympia und die schöne neue Welt
Ausgewählte Höhepunkte Rio 2016

"Um mundo novo", eine "neue Welt" lautete der Slogan, der überall an den Arenen der Olympischen Sommerspielen Rio 2016 zu sehen war. Wir haben mal genau nachgeschaut. Und gelernt, wie diese neue Welt aussieht.

Neue Welt, Teil 1: Arena Beachvolleyball, Copacabana. Der Blick ist unglaublich. Zum Meer hin ist die 12.000 Menschen fassende Arena offen, man sieht die Wellen bis dicht an die Tribünen kommen. Wer in der Arena ganz oben sitzt, schaut über die ganze Copacabana mit ihrem Strand und den Hochhäusern hinaus. Unten macht ein DJ mächtig Dampf. Partystimmung am berühmtesten Strand der Welt. Vor uns nehmen zwei junge Damen Platz, die die ersten 15 Minuten des äußerst spannenden Spiels mit dem Schießen von Selfies verbringen, wobei das Spielgeschehen hinter ihnen liegt. Den Rest der Partie verbringen sie damit, den Gesichtern auf den geschossenen Selfies digital mit Hundenasen und Hasenohren zu versehen. Die so aufgepäppelten Fotos werden dann per Whatsapp an diverse elektronische Adressen verschickt und reichlich kommentiert. Dann ist das Spiel vorbei und die Damen verlassen die spektakuläre Arena. Die "neue Welt" ist also digital, wir begleiten sie in real-time. Ach ja, wer hat da eigentlich gespielt? Jemand mit Hundenase?

Neue Welt, Teil 2: die Fressmeile im Olympiapark von Barra da Tijuca. In den ersten Olympiatagen klagten viele Zuschauer über Versorgungsengpässe in den Arenen und Parks. Und das obwohl patente fastfood- und Getränkebrausekonzerne Olympia sponsern. Und eine brasilianische Cateringgruppe mit familiären Beziehungen ins Organisations-Komitee hinein eigentlich für das leibliche Wohl sorgen sollte. Es fehlte an Nachschub und Personal. Und sogar an Leitungswasser. Danach wurde die Zahl des Bedienpersonals angeblich verzehnfacht. Doch jetzt steht man wieder einmal an der Kasse Schlange, an der man die Voucher für Getränke und Essen bezahlen muss. In bar oder mit der Kreditkarte des Olympia-Sponsors. Nach einer halben Stunde ist man dran. "Es gibt nur noch Cheeseburger" ist die knappe Ansage. Okay, dann Cheeseburger. Man wartet 45 Minuten, um endlich den besagten Cheeseburger zu bekommen. Der riecht nach der Pappverpackung. Und die seltsamen Käsescheiben mittendrin kleben den Rest des Abends an den Zähnen. In der "neuen Welt" braucht man also Geduld. Und einen Zahnstocher für den Zahnkäse sowie eine Wäscheklammer, die man beim Essen auf die Nase klemmt.

Neue Welt, Teil 3: die Plastikbierbecher! In 42 Varianten der olympischen Modalitäten. Die werden schnell zum Sammlerstück, manche kaufen nur deshalb ein Bier, weil man die Becher-Kollektion ergänzen will. Warum sollte man das Bier des offiziellen Sponsors auch sonst trinken? Das Bier ist "like making love in a canoe - fucking close to water", würde Monty Python sagen. Und der Becher stinkt furchtbar nach Plastik. Uargh! Die "neue Welt" besteht aus Plastik-Bierbechern, die stinken und ungenießbares Bier bieten.

Neue Welt, Teil 4: die "nachhaltigen Spiele". Während der Eröffnungsfeier "spendete" jeder Sportler einen Setzling - 11.000 Bäume sollen nach Olympia gepflanzt werden. Nette Idee. In den Olympiaparks und Arenen gibt es Essen, wenn man es so nennen kann, und Trinken nur in aufwendigen Plastik- und Pappverpackungen. Laut den Organisatoren sollen insgesamt 2.000 Tonnen Müll in den Olympiaparks produziert worden sein. Die "neue Welt" pflanzt tausende Bäume und produziert tausende Tonnen Müll. Wie das wohl zusammengeht?

Neue Welt, Teil 5: Spiele fürs Volk. Und das ist im Fall Brasiliens ja mindestens zur Hälfte dunkelhäutig. Die sah man aber in den Stadien nicht. Da saßen fast nur hellhäutige Menschen, Brasilianer und Touristen. Ansonsten war die Stimmung in den Arenen gut, auch wenn manche fast leer waren. Als unsere Frau Kerber um olympisches Tennis-Gold spielte, war das Stadion zu 3/4 leer. An Karten kam man trotzdem nicht - seltsam seltsam. So neu ist die "neue Welt" da also nicht. Auch nach 31. Sommer-Olympiaden ist der geregelte Ticketverkauf immer noch eine Achillesferse.

Nun ist Olympia vorbei, das Raumschiff Olympia ist weggeflogen, hat Milliarden an Gewinnen mitgenommen und die Milliarden schweren Rechnungen den Brasilianern dagelassen. Es landet erst 2020 wieder in Tokio. Dann wieder mit Plastikbechern und Cheeseburgern.



© caiman.de: [impressum] / [disclaimer] / [datenschutz] / [kontakt]