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[art_2] Chile: Zusammenkunft mit
Mapuche-Indígenas

Señora Juanita hält einen üppigen Gemüsestrauß im Arm. Rote Beete,
Eisbergsalat, Möhren und Zwiebeln sind frisch geerntet und sehen
aus, wie Gemüse aussehen sollte: erdig, wurzelig, ungenormt und
gesund! "Bei uns ist alles bio. Wir verwenden keinen Dünger. Die
Natur allein entscheidet, wie viel sie uns schenken möchte", erklärt
uns unsere Gastgeberin. Señora Juanita lebt in der Region Araucanía
im kleinen Örtchen Curarrehue. Sie ist eine Mapuche und gehört damit
zum größten indigenen Volk Chiles.
Die Ureinwohner werden in politischen Berichten oft als
aufrührerisch, gewaltbereit und terroristisch beschrieben.
Gleichzeitig schmücken sie, bekleidet mit traditioneller Tracht,
touristische Hochglanzmagazine. Beide Bilder passen nicht zu Señora
Juanita und ihrer 19-jährigen Tochter Iris. Die zwei tragen
westliche Kleidung, sind offenherzig und zeigen uns voller
Enthusiasmus ihren wilden Gemüsegarten. "Das Leben in Einklang mit
der Natur ist für uns sehr wichtig. Monokultur kennen wir nicht. Im
Übrigen bedeutet "Mapuche" in unserer Sprache Mapudungun "Menschen
der Erde", doziert Iris verschmitzt. Wir können uns kaum satt sehen
an Kapuzinerkresse, Topinamburblüten, Andenbeeren und rotbackigen
Äpfeln. Señora Juanita aber treibt zur Eile an, denn das Mittagessen
muss zubereitet werden.
Wir betreten ihr kleines Holzhäuschen, in dem die Küche relativ viel
Raum einnimmt. Unter der strengen Regie der Hausherrin schälen wir
Kartoffeln, mörsern Chilischoten, mahlen Weizen und putzen Bohnen.
Unser Blick bleibt immer wieder am Herd hängen, einer gusseisernen
Kochvorrichtung, die mit Holz betrieben wird und museal aussieht.
Darauf köcheln seit etwa einer Stunde Piñones, die nun fertig sind
und abgegossen werden müssen.
Ehe wir uns versehen, halten wir einen geschälten Piñon in der Hand
verbunden mit der Aufforderung, ihn in den Mund zu stecken. "Das
sind die Samen der Araukarie. Uns Mapuche sind diese Bäume heilig.
Meine Mutter und ich haben die Piñones im Wald gesammelt. Ich mag
sie unheimlich gern. Ihr habt wahnsinniges Glück, denn momentan ist
Piñoneszeit", sprudelt es aus Iris heraus. Auch wir sind begeistert
von den fünf Zentimeter langen Araukariensamen, die ein bisschen wie
Esskastanien schmecken. Die Bäume haben wir im Nationalpark
Conguillío gesehen. Sie werden bis zu 40 Meter hoch, sind bizarr und
strecken ihre immergrünen Äste majestätisch gen Himmel. Araukarien
sind vom Aussterben bedroht, weshalb sie in Chile unter besonderem
Schutz stehen und einem Ausfuhrverbot unterliegen.
Señora Juanita erklärt das Kochen für beendet, bittet uns zu Tisch
und serviert Schaf-Eintopf, Rote-Beete-Salat und Katutos. Das sind
schiffchenförmige Fladen aus einem Weizen-Piñones-Gemisch. Zum Essen
sind auch Ehemann Raúl sowie die Söhne Ernesto und Luis erschienen.
Die drei Männer haben ihre Tätigkeit des Brennholzmachens
unterbrochen, um in der Mittagspause neue Kräfte zu sammeln. Vom
Brennholzverkauf, Gemüseanbau und einer kleinen Hühnerzucht lebt
Señora Juanitas Familie. Und vor einem Jahr kam eine neue
Einkommensquelle hinzu, der Tourismus. In Curarrehue wurde die
Cooperativa de Servicios Turísticos Ruka Ngen gegründet mit dem
Ziel, Verdienstmöglichkeiten in der kleinen Mapuche-Gemeinde zu
schaffen.
Den Mapuche gelang es als einzigem indigenen Volk in Südamerika,
sich gegen die spanischen Eroberer zu verteidigen und ihr Land zu
schützen. 1883 wurde die autonome Mapuche-Nation dann aber doch
gewaltsam an Chile angegliedert. Es kam zu Landenteignungen und die
Ureinwohner wurden in Reservate deportiert. Damit gingen
Unterdrückung, Diskriminierung und der Verfall traditioneller Werte
einher. Heute weisen die Mapuche die höchste Armutsrate innerhalb
der chilenischen Bevölkerung auf. Die Alphabetisierungsquote ist
gering und das Überleben auf dem Land mangels Verdienstmöglichkeiten
sehr schwierig. Viele Mapuche suchen deshalb ihr Glück in
nordchilenischen Bergwerken oder städtischen Ballungsräumen. Um der
Landflucht entgegenzuwirken, wurde das kommunale Tourismusprojekt
Ruka Ngen ins Leben gerufen. Frauen wie Señora Juanita verdienen
etwas Geld, indem sie Reisende an ihrem Alltag teilhaben lassen.
Außerdem kann man in der Hostería Ruka Ngen übernachten.
Das Gästehaus wird von fünf Jugendlichen aus Curarrehue betrieben.
Einer von ihnen ist Marcelo, der uns etwas schüchtern die
Architektur der Hostería erklärt: "Eine Ruka ist die typische
Behausung der Mapuche. Traditionell handelt es sich um ein
fensterloses Rundhaus ohne Fußboden, denn meine Vorfahren duldeten
nichts Trennendes zwischen sich und Mutter Erde. Das Gästehaus wurde
in Anlehnung an eine Ruka gebaut, hat aber Fenster, einen gefliesten
Boden und Warmwasserduschen." Wir finden die Verschmelzung
traditioneller Elemente mit modernen Annehmlichkeiten sehr gelungen.
Errichtet wurde das Gästehaus von der Cooperativa de Madera Ngen,
der fünf Männer aus Curarrehue angehören. Sie sind es auch, die die
hölzerne Einrichtung der 16 Zimmer getischlert haben, die inmitten
araukanischer Stille besten Schlafkomfort bieten.
Am Morgen werden wir von Marcelo mit einem reichhaltigen Frühstück
verwöhnt. Es gibt Kaffee, Kuchen, Wurst, Käse, selbst gebackenes
Brot und verschiedene Marmeladen, die aus der Produktion der
Cooperativa Zomo Ngen stammen. Diese Kooperative vereint 130 Frauen
aus Curarrehue. Sie sammeln im Wald Früchte und bereiten daraus
Marmeladen aus Lleuque (Pflaumen-Steineibe) und Maqui
(Chile-Weinbeere) sowie in Zuckersirup oder Chilisud eingelegte
Piñones. Die Delikatessen werden in einem blitzblanken Küchenneubau
zubereitet und in ein paar Feinkostläden in Santiago de Chile
verkauft. Seit ein paar Monaten ist die Cooperativa Zomo Ngen
Mitglied der World Fair Trade Organization (WFTO). Mit Hilfe des
Fairen Handels hoffen die Frauen, zukünftig ihre Produkte auch in
Europa und den USA verkaufen zu können. Initiator der drei
Ngen-Kooperativen ist der Baske Padre Iñaki. Ziel ist es, den
Mapuche in Curarrehue eine Zukunftsperspektive zu geben, ihre Kultur
zu wahren, die kommunale Entwicklung zu fördern und die Natur zu
schützen. Die Projekte befinden sich in der Anfangsphase und
bedürfen noch finanzieller Unterstützung von außen. Doch alle
Ngen-Mitglieder sind überaus motiviert, aus den Kooperativen sich
selbst tragende Unternehmen machen. Die ersten Schritte sind getan:
Sie haben sich organisiert, verfolgen eine Vision und kämpfen
gemeinsam für die Realisierung ihrer Träume. Und selbstverständlich
ist das Wort "Ngen" Mapudungun und bedeutet "Ort der Zusammenkunft".
Text + Fotos: Dr. Jutta Ulmer + Dr. Michael Wolfsteiner
Weitere Informationen zu den Autoren und ihrem Projekt findet ihr
unter:
www.lobOlmo.de
& www.facebook.com/lobOlmo
Tipps + Links:
www.turismorukangen.cl
www.cooperativapinones.cl
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ed 09/2013] / [druckversion
artikel] / [archiv:
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