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Spanien: Sardana und Castells
In Katalonien wird gern und viel gefeiert. Die Betonung der katalanischen Eigenständigkeit bringt es mit sich, dass typisch katalanische Festlichkeiten sich besonderer Beliebtheit erfreuen.
Lebendige Traditionen sind
sardana und
castells - der Reigentanz für jedermann und die Menschenpyramiden, die Kraft und Geschick erfordern.
Ob jeden Sonntag Mittag auf dem Vorplatz von Barcelonas Kathedrale, am Neujahrsmorgen am Cap Creus zur Begrüßung der aufgehenden Sonne oder zu zahlreichen anderen Gelegenheiten, bei der
sardana fassen sich wildfremde Menschen an den Händen, bilden einen Kreis und beginnen eine komplizierte Schrittfolge zur blechernen Musik der
cobla, einer Kapelle aus Bläsern, Trommel und Kontrabass. Der Tanz kombiniert unterschiedliche Taktfolgen mit verschiedenen Schrittlängen und erfordert höchste Konzentration. "Den Rhythmus Kataloniens", besitze sie, laut dem Dichter und Maler Santiago Rusiñol, "das Herz tanzt, und der Kopf rechnet". Immer wieder erlaubt der Kreis das Ausscheiden und Dazustoßen einzelner Tänzer und auch Touristen werden gerne in die Gemeinschaft der Tanzenden aufgenommen. Auch wenn die heutige Form der
sardana erst im 19. Jahrhundert entwickelt wurde, reichen ihre Wurzeln bis ins Mittelalter. Als Ausdruck des Freiheitswillens unter Franco teilweise verboten, erfreut sie sich seit Ende der Diktatur ungebrochener Beliebtheit.
Ähnlich verhält es sich mit den
castells genannten Menschenpyramiden. Es heißt, die Tradition gehe auf Volkstänze zurück, die den Mythos vom Aufstand der Titanen versinnbildlichten. Später wurde die Symbolik von den Zünften verschiedener Berufsgruppen aufgenommen und der Pyramidenbau als Wettkampf ausgetragen, bei dem der höchste und schmalste Turm gewann., Während der
renaixença im 19. Jahrhundert erfuhren auch die Menschentürme als Ausdruck katalanischer Besonderheit weite Verbreitung; in den Nachwehen des Bürgerkriegs unterdrückt, werden sie seit Ende der Francodiktatur wiederbelebt.
Man kennt verschiedene Figuren: den einsäuligen
pilar, die
torres mit zwei Pfeilern und das eigentliche
castell, dessen Aufbau strengen Regeln
unterliegt. Die Basis der Pyramide bildet das
pinya genannte Menschenknäuel aus den unteren Männern und ihren menschlichen Stützen. Darum herum steht die
cassola (Kasserolle) oder
cordó (Kordel) genannte Menschenmenge, die wie ein menschliches Seil das Auseinanderbrechen des Turms verhindern soll. Als begonnen gilt der Turm nur ab dem dritten Stock und die Spitze bildet der so genannte
pom de dalt (Schlussstein) aus den letzen drei Stockwerken. Auf einem Zweier steht ein Hochheber, der einen Jungen auf seine Schultern hievt. Der zeigt nach Erlangen eines festen Standes mit vier Fingern - Symbol der vier roten Streifen der katalanischen Fahne - die Vollendung der Pyramide an. Dann muss die Pyramide bis zum zweiten Stock herab ohne Umkippen abgetragen werden. Variationen des
castells sind der
pilar mit nur einer Säule oder die
torres mit zwei Pfeilern.
Zentrum der Pyramidenkunst ist die Gegend um Tarragona. In Valls und El Vendrell werden regelmäßig Wettkämpfe veranstaltet. An der Straße von Valls nach Santes Creus wie auf den Rambles von Tarragona hat man den menschlichen Pyramiden sogar eigene Denkmäler gewidmet.
Text: Andrea Weindl
Foto: Dirk Klaiber
[druckversion ed 09/2009] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]