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[kol_3] Pancho: Was mein Taco über dich verrät

Die Psyche eines Menschen offenbart sich im Kochtopf. Vergleichbar wird sie durch Alltägliches und Weitverbreitetes; etwa durch Spaghetti: Typ Eiernudel oder Nudelohne / Typ Öl ins Wasser oder nicht / Typ al dente oder durch / Typ Gabel oder Gabel und Löffel.

Neulich brach der Sommer über meine wetterfesten Nudelvariationen herein. Leichte Kost verlangte daraufhin der Magen.

Tortellini, Bavette und Lasagneblätter noch nicht gänzlich im Schrank verstaut, zogen bereits marokkanisches Taboulé, japanisches Sushi und thailändische Tom Yum in einen kurzen aber heftigen Günstlingsstreit in meine Töpfe. Leider aber macht das vielseitig kulinarische Angebot das Leben nicht leichter.

Jenseits der 30°C dann war der internationale Speisendisput beigelegt. Wie schon 2003, dem ersten Jahrtausendsommer des frischen Jahrtausends, dem noch viele folgen mögen, zeigte sich die mexikanische Küche beeindruckend mächtig und hitzebeständig. Und so zeichnete sich schon im Juni ab, dass der Sommer 2006 von Chili, Guacamole und Maismehl geprägt sein würde.

In der heißen Jahreszeit, die sich in Deutschland alle drei bis vier Jahre zu etablieren versucht, wird der Spaghettikonsum nun immer rarer und Hobbyanalytiker, nicht nur diejenigen, die adäquate Rubriken in Frauenzeitschriften betreuen, kehren zurück zu Altbewährtem, befragen Kaffeesatz und Kristallkugel oder brechen auf zu neuen Ufern so wie wir und beobachten Verhaltensweisen beim Verzehr von Tacos.

Taco-Typen
Um 11.23 Uhr ist Proband 1 aus dem Schlaf erwacht. Proband 2 wischt den Boden. Proband 3 sonnt sich bei einer Tasse schönen Kaffee im Ostflügel und Proband 4 quält der Hunger.

Setting: In der Pfanne erhitzte und mit Käse beträufelte Maisfladen, wie sie in fast jedem Supermarkt erhältlich sind, bilden die Basis. Bereit als Füllung zu brillieren, stehen Avocadocreme, Fajítas (Schnitzel in Streife geschnitten), eingelegte Jalapeños (Chilischoten der gedrosselt scharfen Sorte) und eine Soße aus pürierten Tomaten, einer kleingehackten Zwiebel, reichlich Koriander, frischem Chili und Salz zur Verfügung. Beobachten wollen wir weniger das Füllen als die verschiedenen Falttechniken und den ersten Biss.

Typisierung: Anhand der Verhaltensweisen der 4 Taco-Probanden konnten 3 Typen bestimmt werden: Typ Rolle / Typ Tasche / Typ TexMex

Typ Rolle: archaische Rolltechnik
Wie einst der Azteke am Tacostand (wir sind der Quelle auf der Spur) wird der belegte Maisfladen ohne Umschweife gerollt und und zum Mund geführt. Diese niedrigste bekannte Entwicklungsstufe ist Zeichen animalischer Futter-Gier, welche heute häufig auf ein Heranwachsen in kinderreichen Familien schließen lässt, aber auch Ehrlichkeit symbolisiert, da der Taco an beiden Enden offen ist und sein Esser somit aller Welt signalisiert: seht ruhig her, ich habe nichts zu verbergen.

Darüber hinaus ist der Taco angehalten, in dem Moment, indem er den ersten Biss empfängt, feucht fröhlich in alle Richtungen den Saft der Tomaten zu verspritzen, was die pure Lebensfreude des Typ Rolle widerspiegelt.

Typ Tasche: gleichlange Seiten adrett gefaltet
Durch die ausgefeilte Falttechnik erregt der Taco Aufmerksamkeit. Außenstehende können ihre Blick nicht abwenden, sie möchten ergründen, was sich hinter der Fassade abspielt: setzt sich die Komposition der Ordnung auch jenseits der teigigen Umhüllung fort? Ihre Neugier aber bleibt unbefriedigt, da Typ Tasche einerseits geheimnisvoll mit seiner Umgebung spielt, anderseits jedoch um seine Prüderie weiß und durch Faltkunst und bedachte Haltegriffe keine Einblicke in die Tasche gewährt.

Verstärkt wird das Spiel um Aufmerksamkeit und Verhüllung durch Gestik und Mimik, die der erste Biss in den Taco auslöst.

Verträumt gleitet der Kopf in den Nacken und der Blick, der sich hinter den geschlossenen Lidern nur erahnen lässt, erweckt den Eindruck, der Genießer habe die höchste Genussstufe erreicht. Leider aber wird er die Rezeptur der nur ihm bekannten Füllmischung hüten bis in alle Ewigkeit.

Typ TexMex: gerollt und einseitig geschlossen
Vor dem Rollen wird der Maisfladen leicht eingeschlagen. Im Idealfall kann diese technisch ausgereifte Variante zu einer 100-prozentigen Konservierung der Tomatensoße innerhalb des Tacos führen. Das kleckerfreie Verspeisen bedarf nur einer Hand. Die zweite Hand befindet sich weder am Taco noch kommt sie als Tropfauffangvorrichtung zum Einsatz.

Leicht geöffnet und einfach so im Raum drapiert, liegt ihre Funktionalität einzig in der Unterstreichung des souveränen Auftritts des Typ TexMex.

Kommt sie allerdings zu aufdringlich zum Einsatz, so erweckt die schlabberfreie Präsentation schnell den Eindruck, es handle sich beim TacoImGriffhaber um Mamas Liebling. In Kennerrunden muss sich der Typ TexMex zudem vor Entlarvung fürchten: Er mag zwar mexikoliebend sein, war aber noch nie vor Ort, wo diese Technik als westlich ordnungsliebend gelten und bestenfalls belächelt werden würde. Tacos kennt er nur aus Desperado, doch leider kommen in diesem Film keine Tacos zum Einsatz.

Text + Fotos: Dirk Klaiber