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[kol_1] Grenzfall: Alle reden vom Postkolonialismus
Wir sprechen über die Post

Haben Sie auch schon einmal versucht, sich Ihre deutsche Tageszeitung nach Spanien nachsenden zu lassen? Klar, das klingt jetzt ein bisschen muffig und spießig: Reisende Weltenbürger lesen schließlich die einheimische Tagespresse, El País beim café con leche, die Marca zu Tapas und Bier. Falls man auf Reisen wirklich Heimatinfos benötigt, gibt es, der modernen Technik sei Dank, seit einem Jahrzehnt das Internet. Außerdem hat jede zweite Ramblas und wirklich jeder Badeort am Meer mindestens einen Kiosk, der neben dem britischen Daily Mirror und De Telegraaf aus Amsterdam auch Zeitungen aus Alemania im Sortiment hat.

Dennoch, es gibt Situationen - etwa: längere Arbeitsaufenthalte, den Bundesligasaisonstart oder spannende Wahlkämpfe -, in denen man sich über hintergründige Analysen und Kommentare aus der Heimat durchaus freuen würde. Hierfür reichen Bild oder Handelsblatt, die Standardausrüstung der meisten spanischen Kioske, für Menschen, die gerne Zeitung lesen, nicht aus.

Hier frustrieren auch die kurzen Besuche in verrauchten Internetcafes eher, als dass sie das Informationsbedürfnis ausreichend und anhaltend stillen würden.

Hat man sich also aller Zweifel zum Trotz dafür entschieden, das heimatliche Zeitungs-Abo mit ins Ausland zu nehmen, stellt sich zunächst die Kostenfrage. Die diversen Verlage haben nämlich unterschiedliche Tarife. Das Spannweitenvolumen für regelmäßiges Nachsenden reicht von 50 zusätzlichen Cent (Süddeutsche) bis hin zu 1 Euro 50 (FAZ) pro Ausgabe. Hinzu kommt, dass man ein- und denselben funktionstüchtigen Briefkasten benötigt, da die Ausgaben per Post von einem Druckzentrum aus Südfrankreich versandt werden. Und strenggenommen ist dies der Umstand, der Probleme bereitet.

Unsere spanische Briefträgerin jedenfalls ist nett, jung und einsilbig. Jeden Tag eilt sie mit drahtigen Stechschritten durch das Dorf.

Jeden Tag hören wir sie erwartungsgespannt pünktlich um halb zwei Uhr nachmittags unsere Straße hinauf kommen. Unsere Zeitung allerdings hat sie meist, schätzungsweise an 4 von 5 Tagen, nicht dabei.

Waren wir am Anfang tatsächlich ein bisschen traurig darüber und haben dem Verlag enttäuschte Lesermails geschrieben, hat sich dies inzwischen zu einem - im Wortsinn - running gag entwickelt. Sobald sie uns auf der Terrasse sitzen sieht, ruft sie bereits: "No periódico!" Wir winken ihr dann freundlich zu, zucken mit den Schultern und lesen weiter El Pais.

Auch wenn es heute möglich ist, sich die Welt mit all ihren komplexen Geschehnissen auf die Atomsekunde genau auf den Bildschirm zu holen (selbst in den verlorensten Winkel der Zivilisation; man benötigt dafür einzig eine Funkverbindung), bereitet es dagegen offenbar immer noch Schwierigkeiten, ein Bündel bedrucktes Papier täglich von A nach B zu senden. Auch wenn letzteres für technische Laien zunächst als einfacher zu bewerkstelligen klingt. - Allerdings wurde unsere anfängliche Sehnsucht nach etwas im Prinzip recht Schlichtem und Trivialen: nämlich nach trockenen, manchmal wegen des Windes schwierig fassbaren Papier rasch überdeckt von einer Zufriedenheit, die gerade mit den Unzulänglichkeiten der modernen Distribution sympathisierte. So globalisiert läuft das dann alles also doch noch nicht!

So brachte auch die anfangs energische, bald recht laxe Ursachenforschung wenig zu Tage: Der Verlag schwört auf sein südfranzösisches Druckerzentrum und schiebt den schwarzen Peter der spanischen Post zu. Die Post erklärt in bestechender Logik, dass sie ausschließlich das am Morgen austeilen könne, was sie in der Nacht zuvor erhalten habe.

Letztlich ist es gleich, wo die Zeitung im Bermudadreieck zwischen deutschem Verlag, französischem Druckzentrum und spanischer Post auf der Strecke bleibt. Und: vielleicht war unser Vorhaben wirklich ein bisschen muffig und spießig. Jedenfalls können auch wir als lange unbelehrbare Fans deutscher Zeitungslektüre uns nun einem berechtigten und nicht besonders originellen Tipp anschließen: Zeitung in den Urlaub nachsenden lassen? Das empfiehlt sich wirklich nicht! Es ist teuer und der Versandt ist undurchsichtig. Man lernt zwar Sprache und Land, in dem man sich aufhält, ein wenig besser kennen, etwa in den Gesprächen mit netten Postboten.

Ausgerechnet das aber ließe sich natürlich auch anders und besser bewerkstelligen, etwa eben indem man doch einfach die ortsansässige Zeitung liest, sich über Zapatero statt über Merkel ärgert und den Saisonstart des FC Barcelona statt den des FC Köln begleitet. Auch die spanische Wettervorhersage ist letztlich gewinnbringender ...

Bei aller Entspanntheit - schließlich scheint die Sonne 14 Stunden am Tag -, werden wir unserer Briefträgerin bestimmt auch morgen wieder einen stummen Schrei hinterherschicken, wenn sie an uns vorbei mit leeren Händen über die Holperstraße zum Plaza Mayor rennt. Es ist eine Frage, die sie nicht beantworten kann, die sich aber dennoch stellt: Wo bitte bleibt die Post im Zeitalter des Postkolonialismus?

Text: Michael Schlieben / Anne Grüttner
Fotos: Michael Schlieben / Anne Grüttner / Torsten Eßer