|
|
|
|
|
|
[art_1] Spanien: Die Kunst des Bildhauers Francisco Romero Zafra
Der schönste Erfolg ist, wenn die Menschen weinen
Córdoba, am Karsamstag 2011. Wir sind soeben mit dem Zug aus Sevilla angekommen, wo wir wie so oft in den letzten Jahren eine reichlich verregnete Semana Santa erlebt haben. Heute regnet es nicht und der Fußweg vom Bahnhof durch die Altstadt von Córdoba zur Werkstatt des Bildhauers Francisco Romero Zafra in der Calle Anqueda wird unerwartet zu einem Romantik-Spaziergang, vorbei am laternenumrankten Cristo de los Faroles und einer purpurfarbenen Bougainvillea-Lawine über der Treppe neben der Kapelle der Jungfrau des Friedens.
Diese Schritte durch Córdobas Gassenlabyrinth sind schon mal eine gute Lektion in Entschleunigung. Denn "Europas Weltstadt des 10. Jahrhunderts" atmet eine zeitlose Grandeza. Hier hetzt man nicht von Termin zu Termin, man nimmt sich die passenden Momente für die wirklich wichtigen und schönen Dinge im Leben und die Zeit ist hier kein hektisch vorrückender Sekundenzeiger, sondern eher ein gleichmütig plätschernder Brunnen, dessen Wasser aus unergründlicher Tiefe emporsteigt. Und eines darf man hier auf keinen Fall, da es (ähnlich wie in Sevilla) als unhöflich gilt: überpünktlich zu einem (Interview)Termin erscheinen. Also schlendern wir noch eine Ehrenrunde und besichtigen die Kirche Santa Marina, bevor wir an der Tür des Künstlers Romero Zafra anklopfen.
Dann öffnet sich der Vorhang für eine Bilderflut, die uns mitreißt und mich meinen Plan von einem streng strukturierten Interview mit Fragenkatalog spontan über Bord werfen lässt. Córdoba ist Spaniens Stadt der Philosophen (Seneca, Averroes und Maimonides, um nur die wichtigsten zu nennen), in dieser Stadt der Denker führt man keine Interviews, sondern philosophische Gespräche.
Der Maestro öffnet uns lächelnd die Tür zu seiner Welt, die bevölkert wird von Christusskulpturen, Engeln und tränenreichen Madonnen. Romero Zafra widmet sich sakraler Kunst, seine wichtigsten Auftraggeber sind Klöster und vor allem religiöse Bruderschaften zwischen Cádiz und Salamanca, die Skulpturen für ihre Prozessionen während der Semana Santa benötigen. Und ich fühle dieselbe Ergriffenheit wie in der Karwoche 2007, als ich in der Kirche Santo Ángel in Sevilla zum ersten Mal eine seiner Schöpfungen entdeckte: die Jungfrau der Sieben Schmerzen. Das Gesicht dieser Madonna beeindruckte mich so sehr, dass ich sie auf das Titelbild meines Sevilla-Buches platzierte.
Wie viele der anderen von Romero Zafra geschaffenen Himmelsköniginnen hat sie blaue Augen. "Ich halte helle Augen für ausdrucksstärker", kommentiert der Künstler, "ich male winzige Punkte verschiedener Couleur, es gibt mehr Farbschattierungen, mehr Lichtreflexe." "Deshalb wirken sie oft geheimnisvoller.", ergänzt Vicente, ein befreundeter Kunsthistoriker aus Madrid, der mich zu diesem Interview begleitet hat.
Schon befinden wir uns mitten in einem Gespräch über die zentrale Bedeutung des Blicks einer Statue. Romero Zafra definiert seine Intention: "Eine Skulptur muss atmen und über einen lebendigen Blick verfügen. Der Zuschauer muss das Gefühl haben, von den Augen einer Statue persönlich angeschaut zu werden; nur dann hat man als Bildhauer ein Ziel erreicht."
Nun, dieses Ziel erreicht der Künstler aus Córdoba spielend, vor allem die rätselhaften, oft tränenerfüllten, hypnotischen Augen seiner Madonnen und Christusstatuen sind sein Markenzeichen. Dabei wurde Zafra als Autodidakt, der nun pro Jahr vier lebensgroße Skulpturen modelliert, erst sehr spät zur Bildhauerkunst berufen. Der 1956 geborene Romero Zafra war bereits 34, als er 1990 seine erste Madonna (die Jungfrau der Tränen) für einen Skulpturen-Wettbewerb in Córdoba präsentierte und prompt gewann. Vorher war er 13 Jahre als Vertreter für ein Juweliergeschäft tätig und entwarf nebenbei auch selbst Schmuck, wie er heute noch in seiner kunstvollen Künstler-Signatur demonstriert: alle seine Madonnen tragen eine Brosche, die seine Initialen FMZ sowie das M für Maria und einen Hufeisenbogen der Moschee von Cordoba ineinander verschnörkelt zeigt.
Seit 1990 hat er für Bruderschaften, Kirchen und Klöster in ganz Spanien sakrale Kunstwerke geschaffen, von La Orotava auf Teneriffa über Córoba und Sevilla bis Salamanca. Darunter sind geniale Meisterwerke neben der schon erwähnten Madonna der sieben Schmerzen vor allem zwei majestätische Statuen des auferstandenen Christus (Pozoblanco 1995, Martos 2004), die tragische Jungfrau der Bitterkeit (Guadix 2002), eine heilige Theresa für die Kirche Santo Angel in Sevilla (2007), die Engel für das berühmte Salzillo-Museum in Murcia, für seinen Geburtsort La Victoria bei Córdoba den dramatisch sterbenden Cristo de la Expiración (2002) und für seine Heimatstadt Christus im Priestergewand (Sagrado Corazón).
Vor einem goldenen Vorhang präsentiert er uns stolz seine neueste Kreation, den erst vor ein paar Tagen vollendeten gekreuzigten Christus. Lebensgroß, blutüberströmt und eindrucksvoll modelliert schwebt dieser tote Erlöser mit geschlossenen Augen über uns.
Sein Kreuz wartet in irgendeiner Kirche auf ihn. Unheimlich ragen die monströsen Schrauben, mit denen er ans Kreuz befestigt werden soll, aus seinen Händen. "Darf ich ihn kurz berühren?", fragt Vicente. "Ja natürlich, dafür wurde er geschaffen! Ein Erlöser zum Anfassen!" Ich frage Romero Zafra, ob er für seine Werke lebende Modelle als Inspirationsquelle wählt. Er entgegnet lächelnd: "Nur für manche Nebenfiguren, aber niemals für Christus oder die Jungfrau Maria, denn es würde mir nicht gefallen, wenn ich oder Gläubige, die sie anbeten, dieser Madonna am nächsten Tag in der Straße beim Einkaufen begegnen würden."
Beim Gespräch über die einzelnen Schritte hin zur Vollendung eines seiner Werke, von denen jedes etwa drei bis vier Monate in Anspruch nimmt, kommentiert der Meister: "Das Modellieren ist der eigentliche schöpferische Akt, alles andere wie zum Beispiel die Bemalung, dient nur noch zur Akzentuierung des schon Geschaffenen. Aber ich sehe bereits beim Modellieren die zukünftigen Farben einer Figur vor mir", erklärt er uns. Die Bemalung ist nur die wichtigste einer Reihe von Schritten, die zum endgültigen Erscheinungsbild seiner Werke beitragen. Mit verschmitztem Lächeln präsentiert uns der Bildhauer eine ganze Palette von Tricks, um seine sakralen Skulpturen effektvoller zu gestalten: mit verstellbaren Schrauben konstruierte Armgelenke, ganze Reihen verschiedener Handgelenke, leichte Holzgestelle, die von Madonnengewändern verdeckt, massive Statuen simulieren sollen. Letztere sind schon seit dem Barock im Einsatz, um das Gewicht der Statuen beim Tragen zu reduzieren, andere entsprangen dem Innovationsgeist von Romero Zafra.
Ein ganz besonderes Merkmal seiner Kunst, an dem Kenner sofort eines seiner Werke identifizieren, sind die Augen seiner Skulpturen. Sie sind stets von beunruhigender Ausdruckskraft. Ich sage ihm, dass sie mich an die Augen der Heiligen in Gemälden von El Greco erinnern. Sie haben einen ähnlichen Tränenglanz und wirken so lebendig, dass man glaubt, im nächsten Moment müsste eine Träne aus dem Auge kullern. Romero Zafra verrät uns, wie er diesen Effekt erzielt. Den geheimnisvollen Glanz der Augen, die aus bemaltem Holz sind, erreicht er, indem er nach der Bemalung mehrere Schichten von Keramikglasur aufträgt. Die Tränen seiner Madonnen stellt er aus hauchdünnen Glasröhrchen her, wie sie in Labors benutzt werden: diese erhitzt er und trennt dann winzige Teile davon ab, die er zu Tränen formt. Ihre Wimpern fertigt er aus den sehr feinen schwarzen Borsten von Make Up Pinseln.
Wir staunen über solch überraschende Details und er kommentiert: "Ja, man muss auch neue Dinge ausprobieren. Oft kann man seine Kunst nur durch Experimentieren weiterentwickeln das haben die großen Meister des Siglo de Oro in Sevilla und Granada auch so gemacht." Und er kann sich einen kritischen Seitenhieb auf die aktuelle Künstlerszene Sevillas nicht verkneifen. "Dort glaubt man, dass alles, was bisher nicht gemacht und ausprobiert wurde (neue Methoden, neue Materialien) auch jetzt nicht verwendet werden darf aber so kann man sich nicht weiter entwickeln."
Vicente und ich beichten ihm, dass wir und viele andere es kaum erwarten können, endlich eine seiner schönen Madonnen oder Christusstatuen in der berühmtesten Semana Santa in Sevilla zu sehen. Romero Zafra gibt zu, dass Sevilla seit vierhundert Jahren die Hochburg sakraler Kunst ist und sich das Prestige eines Bildhauers in Spanien immer noch daran misst, ob er in Sevilla den endgültigen Durchbruch schafft, denn dort ist die Konkurrenz am größten. Er berichtet uns, dass ein Großmeister einer Bruderschaft aus Sevilla ihm vorgeschlagen hatte, er könne eine Jungfrau Maria für die Prozession als "Schenkung" anfertigen nur um seinen Namen auf dem Kunstmarkt Sevilla zu platzieren. Er schüttelt den Kopf: "Ein unfaires Angebot. Natürlich habe ich das abgelehnt. Ich will Sevilla durch das Hauptportal kommend erobern und mich nicht durch die Hintertür gratis hinein schleichen!"
Eines seiner beeindruckenden Werke der letzten Jahre ist eine blutüberströmte Christusstatue für eine Kirche in Cádiz. Als sie am Palmsonntag 2009 zum ersten Mal in einer Prozession durch die Straßen der andalusischen Hafenstadt getragen wurde, erregte diese Skulptur solches Aufsehen, dass danach viele bei ihm "Kopien" dieses Meisterwerks bestellen wollten. "Dann ergibt sich das Problem, dass man sich in seiner Kunst nicht wiederholen, und doch dem Wunsch des Auftraggebers entsprechen will", kommentiert er. So entstand 2011 der Cristo Despojado für eine Kirche in Salamanca eine ähnliche Ikonographie und doch anders als der Christus für Cádiz. Mir persönlich gefällt letzterer besser, er wirkt andalusischer, stolzer und weniger leidend. Kichernd verrät uns der Maestro, wie er bei der Palmsonntags-Prozession in Cádiz eine vielleicht nicht mehr ganz nüchterne Zuschauerin sagen hörte, dieser Christus sei so schön, den würde sie gern mal begrapschen.
"Was fühlt man denn als Bildhauer, wenn man das erste Mal Zeuge wird, wie sein Werk bei einer Prozession durch die Straßen getragen wird?", will Vicente wissen. Romero Zafra lächelt und nickt: "Ja, das ist die Frage, die jeder irgendwann stellt. Ich kann nur sagen: große Aufregung und sogar Angst. Nicht nur Angst, dass meine Statue den Leuten nicht gefallen könnte, sondern eher Angst, dass mein Werk mir selbst nicht mehr gefallen könnte. Denn eine solche Statue wurde für die Altarbühne geschaffen, um mit dieser durch die Stadt getragen zu werden. Und bevor man sie nicht bei vollem Tageslicht oder im Kerzenlicht einer nächtlichen Prozession gesehen hat, bevor man sie nicht in Bewegung gesehen hat, kann man nicht sagen, ob das Werk wirklich gelungen ist oder nicht. Aber wenn man dann die Reaktionen und Gefühle der Menschen beobachtet, wenn man sieht, dass sie ergriffen sind und weinen, ist das für mich das Schönste, die wunderbarste Belohnung für meine Kunst!"
Dem können wir nur zustimmen und Vicente ergänzt: "Ja, die Semana Santa ist lebende Kunst außerhalb von Museen." Ich nehme diesen Gedanken auf und lege meine Überzeugung dar, dass der Semana Santa Kunst etwas gelingt, was der Kirche heute immer seltener zu gelingen scheint: die Menschen, bis hin zu Atheisten, im Gefühl mitzureißen, ihnen wenigstens in ein paar Momenten für die Ewigkeit eine sakrale Ergriffenheit zu schenken, die sie sonst vielleicht vergeblich suchen. Der Bildhauer stimmt zu: "Die religiöse Dimension der Semana Santa erfasst wohl nur der Gläubige, aber die menschliche Dimension kann jeder sehen. Denn es geht um menschliches Leid, um ein menschliches Gefühl das wir automatisch vergöttlichen. Wenn ich eine Madonna erschaffe, dann stelle ich eine Frau dar, die leidet, die leidet wegen grauenhafter Ungerechtigkeit." Vicente ergänzt: "Ja, dieses Thema ist ewig und leider immer aktuell. Jeder kann das nachvollziehen auch ein Atheist. Auch deshalb ist die Semana Santa so erfolgreich: sie zeigt uns das menschliche Gesicht des Göttlichen." Und dieses reflektiert sich in der genialen Kunst von Francisco Romero Zafra ganz besonders lebendig.
Text: Berthold Volberg
Fotos: Vicente Camarasa + Berthold Volberg
Website des Bildhauers Francisco Romero Zafra: www.franciscoromerozafra.com
Bildergalerie:
|
|
Volberg, Berthold
Sevilla - Stadt der Wunder
Porträt der andalusischen Kunstmetropole mit großem Bild- und Textteil zur Semana Santa
(Nora) ISBN: 978-3-86557-186-1
Paperback
328 S. - 16 x 25 cm |
[druckversion ed 08/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]
|
|
|
|
|
|