ed 08/2009 : caiman.de

kultur- und reisemagazin für lateinamerika, spanien, portugal : [aktuelle ausgabe] / [startseite] / [forum] / [archiv]


[art_3] Brasilien: 24/7 Boa Morte in São Paulo
Restaurierte Barockkirche im Dienste der Armen
 
Auf den ersten Blick übersieht man sie leicht. Mitten zwischen hässlich modernen Hochhäusern liegt die Kirche "Nossa Senhora da Boa Morte - Unsere Frau des schönen Todes" im Herzen São Paulos. Im Juli wurde sie nach dreijährigen Renovierungsarbeiten von São Paulos Erzbischof Dom Odilo Pedro Scherer feierlich wiedereröffnet. Von außen ist sie immer noch schlicht, "Barroco Paulista" nennt man das hier - Barock á la São Paulo. Von innen ist sie wieder das Schmuckstück, was sie seit ihrer Erbauung 1810 immer schon war.



Oder fast immer. Sieben Jahre lang war sie geschlossen, drohte einzustürzen. Teile des hölzernen Dachstuhls waren von Termiten zerfressen und die Wände wegen Wasserinfiltrierung morsch und schwarz verschimmelt. Dank der gemeinsamen Initiative der Landesregierung und einiger Privatunternehmen konnten die für die ab Oktober 2006 durchgeführte Renovierung benötigten 6,5 Millionen Reais schließlich und noch rechtzeitig aufgebracht werden.

Die 1810 erbaute Kirche ist eines der wenigen übrig gebliebenen Zeugnisse kolonialer Architektur, das der hektischen Expansion des Stadtzentrums ab den 1930er Jahren Stand gehalten haben. In einer kleinen Seitenstraße, der Rua do Carmo, gut 500 Meter von der Kathedrale Sé, dem Bischofssitz, entfernt gelegen, gilt sie heute als Hoffnungsstätte für die Obdachlosen und Drogenabhängigen der Region.

Der Name der Kirche ist eng mit der Geschichte der Stadt verbunden. Zum Tode durch Erhängen Verurteilte wurden vor der Vollstreckung in die Kirche geführt um um einen schönen Tod zu bitten. "Diese Kirche hat eine große Bedeutung, sowohl historisch wie auch kulturell und religiös", so Erzbischof Scherer. "Aber diese Kirche ist kein Museum, sondern eine lebendige Kirche. Und derzeit gibt es keine andere Kirche außer ihr, die rund um die Uhr geöffnet ist. Dies ist etwas Neues und zeigt die Präsenz der Kirche in unserer Stadt."


São Paulo sei eine Stadt, so Erzbischof Scherer, die niemals ruhe. "Deshalb brauchen wir auch nachts religiöse Räume, wo Menschen Aufnahme finden können, wo sie die Möglichkeit haben einzutreten, zu beten und Gehör zu finden." Schätzungen der Stadtregierung zufolge leben zwischen 12.000 und 15.000 Menschen auf den Straßen São Paulos, davon etwa 4.000 im Zentrum der 11 Millionen Einwohner zählenden Stadt.

"Hier treffen Sie alles an, von Drogenabhängigen, Prostituierten, verzweifelten und verirrten Menschen, Obdachlosen bis hin zu Menschen, die einfach einsam sind und Gesellschaft suchen. Und diese Menschen brauchen jemanden, der ihnen zuhört, der sie anschaut - und der Zeit für sie hat. Genau dies hat Jesus von uns gefordert: menschlicher zu sein", so Padre Julio Lancelotti, Koordinator der Obdachlosenpastorale in São Paulo.

Als erste Kirche in der Stadt wird sie täglich 24 Stunden geöffnet sein um Menschen in Not beizustehen. "Eine jederzeit geöffnete Kirche bedeutet eine humanere Kirche, eine sensiblere Kirche, die näher an denen dran ist, die leiden", sagt Padre Lancelotti.

Für die Betreuung der nach Hilfe Suchenden stehen 15 Padres der "Alianca de Misericordia" (Bund der Barmherzigkeit) bereit, einer vor zehn Jahren in São Paulo gegründeten kirchlichen Laienbewegung. Neben sozialer und religiöser Arbeit auf den Straßen der Stadt unterhält die Alianca auch zwei Obdachlosenheime und eine Anlaufstelle für Drogenabhängige im Stadtzentrum, an die man die dringlichsten Fälle weiterleiten werde, erklärt Bruder Gabriel Maria.

Er erwartet einen "wahren Ansturm" auf die Kirche und ist sich der begrenzten Kapazitäten bewusst. "Unsere Kirche ist klein, aber unser Wunsch ist es, alle aufzunehmen die an unsere Türe klopfen. Abweisen werden wir jedenfalls niemanden."



Die in die Restaurierung der "Nossa Senhora da Boa Morte" investierten 6,5 Millionen Reais seien auf jeden Fall gut angelegt, so Bruder Gabriel Maria. "Für uns ist diese Kirche ein Wunder. Nach sieben Jahren öffnet sie erneut ihre Türen und das Volk und besonders die Armen haben diese Kirche verdient."

Text, Interviews + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 08/2009] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]


© caiman.de: [impressum] / [disclaimer] / [datenschutz] / [kontakt]