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[art_2] Mexiko: Medikamentenwerbung
 
Jeder will gesund sein. Um möglichst fit zu sein nehmen viele Menschen deshalb nicht nur Medikamente, wenn sie krank sind, sondern auch vorsorglich Nahrungsergänzungsmittel wie Vitaminpräparate. Der Nutzen dieser Mittel ist umstritten. In Deutschland müssen die Aussagen in der Werbung deshalb sehr zurückhaltend formuliert werden. Doch in Ländern der Dritten Welt, wo es hierfür keine gesetzlichen Bestimmungen gibt, wird das Blaue vom Himmel versprochen. Und damit richtet die sogenannte "Gesundheitsindustrie" großen Schaden an.

"Die Vitamine helfen gegen Osteoporose", verspricht der Sprecher eines Radiospots vollmundig. Und Vitamine sind bei weitem nicht das einzige Wundermittel, das in Mexiko via Radio, Fernsehen und auf Plakatwänden beworben wird.

"Ich habe Leute getroffen, die Vitamine zur Heilung von Epilepsie gekauft haben. Ich habe sogar jemanden gesprochen, der gelähmt war und dem ein Verkäufer versichert hatte, er werde wieder laufen können, wenn er die Vitamine nehmen würde." Hugo Ernesto Flores Navara ist Arzt und kümmert sich um Patienten in der ländlichen - und armen - Region Chiapas in Südmexiko. In vielen der abgelegenen Dörfer ist er der einzige Arzt, der ab und an vorbei kommt. Wer krank ist, muss also lange auf Hilfe warten. Deshalb greifen Kranke nach jedem Mittel, das Heilung verspricht - und glauben völlig unbesehen das, was Werbung und Verkäufer, die in den Dörfern von Haus zu Haus gehen, ihnen versprechen.

"Es werden Produkte verkauft, von denen in der Werbung beteuert wird, dass sie heilen. Irgendwo auf dem Zettel steht dann ganz klein, dass es sich nur um Nahrungsergänzungsmittel handelt. Und das in Dörfern, wo ein Großteil der Leute nicht mal lesen kann", so Flores.

Dagmar Castillo gehört der kleinen mexikanischen Hilfsorganisation EAPSEC an, die sich für eine bessere Gesundheitsversorgung in den ländlichen Gebieten des Landes einsetzt. "Es geht nicht nur darum, dass die Werbung den Leuten falsche Versprechungen macht, vielmehr geschieht dies auch immer häufiger auf sehr aggressive Art und Weise. Wer die Vitamine nicht nehme, handle geradezu unverantwortlich, so wird behauptet."

"In der Werbung geht es oft um Kinder und sie richtet sich speziell an Frauen. Da heißt es, wenn die Kinder krank werden, dann sei das die Schuld der Mütter. Deshalb fühlen sich die Frauen verpflichtet, diese Mittel zu kaufen und fragen auch ganz gezielt nach den Produkten, die über Radio und Fernsehen beworben werden. Dabei fehlt es nicht so sehr an Medikamenten und schon gar nicht an Nahrungsergänzungsmitteln", meint Dagmar Castillos. Es ginge um Grundsätzlicheres. "Oft brauchen die Leute keine Medizin, sondern eine gute, ausgewogene Ernährung und ordentliche Häuser, in denen es nicht zieht. Doch viele wissen das alles nicht. Deswegen bemühen wir uns vor allem darum, den Menschen zu vermitteln, was sie tun müssen um erst gar nicht krank zu werden."

Doch aus zugigen Hütten ordentliche Häuser zu machen kostet Geld. Und die wenigen Mittel, die die Menschen in den Dörfern zur Verfügung haben, fließen oft in die völlig überteuerten Vitaminpräparate. Je nachdem kosten sie schnell einen südmexikanischen Monatslohn oder mehr. "Die Leute, von denen wir hier sprechen, sind arm. Wenn sie die "Medikamente" kaufen, dann haben sie kein Geld mehr, um ausreichend Nahrungsmittel für ihre anderen Kinder zu beschaffen. So wird die ganze Familie in Mitleidenschaft gezogen", so Castillos.

EAPSEC hat die am häufigsten in Mexiko beworbenen Vitaminpräparate auf deren Inhaltstoffe getestet. Das Ergebnis war ernüchternd: Sie enthielten hauptsächlich Zucker und Koffein. "Die Vitamine, die als Tabletten geschluckt werden, haben zwar keinerlei Nutzen, aber sie schaden wenigstens nicht. Aber in letzter Zeit beobachten wir, dass vermehrt Vitaminspritzen angeboten werden. Jede Injektion birgt das Risiko einer Infektion, besonders dann, wenn sie nicht unter hygienisch einwandfreien Bedingungen durchgeführt wird. Und von Menschen, die das nie richtig gelernt haben", erklärt Hugo Ernesto Flores Navara. Und so wird die aggressive Bewerbung nutzloser Präparate zum Gesundheitsrisiko.

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

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