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[art_1] Argentinien: Adiós, Millionäre, adiós!
River Plate und der Abstieg in die Nacional B
 
Nach 110 Jahren in der höchsten Spielklasse des argentinischen Fußballs muss der Traditionsclub River Plate den schweren Gang in die Nacional B antreten. Krawalle inklusive.

Bayern München steigt in die zweite Bundesliga ab, die Fans nehmen die Allianzarena auseinander! Kann man sich das überhaupt vorstellen? Der Vorzeigeclub Deutschlands, Rekordmeister, millionenschwer, Hervorbringer unzähliger Talente, die sich Jahr für Jahr nicht nur in den Bundesligaclubs, sondern auch in allen wichtigen Stadien Europas beweisen und der stets um die Meisterschaft mitspielt, steigt ab? Wohl kaum. Doch genau das ist jetzt dem Bayern München Argentiniens geschehen. Der Club Atlético River Plate, der sich pro Jahr mindestens zwei Mal mit den Boca Juniors den brisanten Superclásico lieferte und Spieler wie Alfredo di Stefano, Daniel Pasarrella, Mario Kempes, Claudio Caniggia, Hernán Crespo, Martín Demichelis oder Gonzalo Higuaín herausbrachte, ist am Wochenende tatsächlich in die zweite argentinische Liga abgestiegen. Zwei Relegationsspiele konnten die Rotweißen nicht für sich entscheiden. Gegen Belgrano Cordoba verloren sie und spielten zu Hause nur Remis, was der fußballverrückte Mob zum Anlass nahm, nicht nur Teile der Tribüne zu demolieren und Verkaufsstände in Brand zu setzen, sondern sogar Steine auf die eigenen Spieler und Polizisten zu werfen. Es grenzt beinahe an ein Wunder, dass niemand an diesem Wochenende zu Tode kam.

Doch der Vergleich mit Bayern München hinkt. Denn rein theoretisch muss in der argentinischen Liga nicht zwangsweise der absteigen, der tatsächlich auch unten steht. Weil 1981 der Verein San Lorenzo überraschend in die zweite Liga musste, ersannen die schlauen Funktionäre einen Plan, damit die größten Clubs nicht das gleiche Schicksal ereilt. Und so wurde1983 das sogenannte Promedio-System eingeführt. Danach ist für den Abstieg jetzt nicht mehr die Platzierung nach einer Saison entscheidend, sondern, wie gut sich der Club in den letzten drei Jahren geschlagen hat. Dazu werden die Punkte addiert und durch die Anzahl der Spiele geteilt und schon hat man die Grundlage geschaffen, damit eine schlechte Saison der großen Vereine nicht ausreicht, um tatsächlich in die zweite Liga absteigen zu müssen.

Ein solches System ist jedoch immer nur so gut, wie der Club selbst. Den Millionarios, wie die Spieler von River gerne genannt werden, weil der Verein stets der wohlhabendere aus dem Hafenviertel war und später aus Boca in den wohlsituierten Stadtteil Nuñez umzog und schon mal mit Goldbarren Spielertransfers abwickelte, gelang vieles. Insgesamt holten sie 68 Titel, darunter 33 argentinische Meisterschaften und zwei Mal die Copa Libertadores. Dabei hätten sie als Vorletzter 1983 nach der schlechtesten Saison ihrer Vereinsgeschichte rein sportlich gesehen schon absteigen müssen. Der eingeführte Durchschnittswert jedoch bewahrte sie davor, die Mannschaft wurde aufgefrischt und nur drei Jahre später gewannen sie den Weltpokal.

Nach zwei schlechten Jahren und einem durchschnittlichen, das sie immerhin auf Tabellenplatz neun beendeten, müssen die Millionarios nun kleinere Brötchen backen. Kein Superclásico mehr, kein Derby gegen Independiente oder San Lorenzo. Stattdessen darf man sich künftig mit Mannschaften wie Rosario Central, San Martín de Tucumán oder Chacarita Juniors messen, auch wenn die Anhänger gebetsmühlenartig Sätze wiederholen wie River es demasadio grande para descender oder River no se puede ir a la B. Erstligareifen Fußball wird man im El Monumental höchstens dann noch sehen, wenn die Nationalelf mit Messi und Co. anrückt oder man alte Videos von 1978 anguckt, als Argentinien in der riesigen Betonschüssel zum ersten Mal Weltmeister wurde.

Sollte River der direkte Wiederaufstieg tatsächlich gelingen, könnte es indes erneut vom Promedio heimgesucht werden. Denn dann starten sie im wahrsten Sinne des Wortes bei Null. Vielleicht aber lassen sich die Funktionäre ja wieder etwas einfallen und schaffen mehr sportlichen Anreiz durch die Abschaffung der durchschnittlichen Auf- und Abstiegsmodalitäten?

Das käme zwar im Falle des Aufstieges erneut River zu Gute. Aber endlich würden alle Mannschaften gleich behandelt werden und Aufsteiger die gleichen Chancen besitzen in der Liga zu bleiben, wie alle anderen auch.

Text + Foto: Andreas Dauerer

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