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[art_1] Brasilien: Luis und die Insel aus Müll

Es stinkt und ist laut. Direkt neben der Schnellstraße Linha Vermelha im Norden von Rio de Janeiro schwimmt Luis Bispos Meisterwerk - ein aus Müll erbautes Haus mitten auf dem Wasser. Halt! Es schwimmt eigentlich nicht. Es sitzt eher auf einer Schlammbank im Canal do Cunha, einem skandalös riechenden Abwasserkanal.

Luis ist Autodidakt. Normalerweise errichtet er kleine Häuschen in der Vila Pinheiro. Die Familie lebt von den Mieteinnahmen und nebenbei bessert Luis sein Einkommen durch den Verkauf alles Brauchbaren, das er aus dem Öl verdreckten Kanal zieht, auf.

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"Ich wollte auf die Verschmutzung aufmerksam machen. Als Kind habe ich hier gebadet - jetzt ist es lebensgefährlich. Die durch die Guanabara-Bucht fahrenden Schiffe werfen ihren Abfall einfach über Bord, hinzu kommen die industriellen Abwässer", so der 40-jährige Luis Bispo, Anwohner der Vila Pinheiro, einer armseligen, zwischen mehreren Schnellstraßen eingezwängten, in Abfall ertrinkenden Siedlung, in der Hund, Hahn und Schwein frei herumlaufen. Zwischendrin lassen Kinder ihre selbst gebastelten Drachen steigen. Von den Namen stiftenden Pinienbäumen sieht man weit und breit nichts und eine Müllabfuhr gibt es hier auch nicht - und so wäscht der Regen den umher liegenden Müll in den Kanal und die nahe Bucht.

Das Haus ist mit 3.000 Plastik-Getränkeflaschen und Styropor unterfüttert. "Ich habe vorher genau berechnet, wie viele Flaschen ich brauche, damit es schwimmt." Darüber hat er sein Heim gezimmert - inklusive Zementfußboden und Steinmauern. Ausgestattet wurde das Ganze mit all dem, was er aus dem vergammelnden Wasser zog: ein kleines Plastikschwimmbad, eine Hydromassage und sogar ein gemütliches Sofa. Dank eines Unterwasser-Stromkabels, das er aus Telefondraht gebastelt hat, gibt es Licht in seinem Häuschen.

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"Ab und zu schlafe ich auf meiner Insel", sagt Luis und räkelt sich gemütlich auf dem Sofa. An den Wänden hängen selbst gemalte Bilder, auf die Rückseiten weggeworfener Wahlkampftransparente gemalt. Stolz zeigt er drei Briefe, die als Flaschenpost angeschwemmt wurden. Mit seiner Aktion hat er national auf sich aufmerksam gemacht. Und auch die Auslandspresse war schon da. Die Behörden versuchten ihn aus dem Haus zu jagen; zu gefährlich sei es dort draußen auf der Brühe.

"Wir müssen unsere Konsumgesellschaft überdenken - man kann doch nicht einfach weiter so Müll produzieren", klagt Luis. Demnächst will er in die Politik gehen - "zu den Grünen" - damit sich endlich was tut. Oder aber eine Kirche gründen: "Einige Anhänger habe ich bereits im Verwandtenkreis." Er ist ein gläubiger Mensch, der gerne aus der Bibel zitiert. Luis steckt so voller Energie, dass er wohl beides machen wird.

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Und er hat Visionen für eine bessere Welt. "Ich ziehe Baumsetzlinge groß, um sie in der Vila Pinheiro und in der Umgebung zu pflanzen." 100.000 Setzlinge sollen es sein, einige Hundert wachsen bereits in mit Schlamm gefüllten Milchtüten auf dem Hausboot und dem Geländer der Linha Vermelha. Der Schlamm sei ein prima Dünger, meint Luis. "Man sollte ihn hier aus der Bucht wegbaggern und auf den sandigen Boden des Landesinnern streuen." Dort könne man dann Pflanzen für die Gewinnung von Biodiesel anbauen, ganz ohne Gefahr für die Gesundheit der Menschen.

Doch soweit ist die hiesige Regierung noch lange nicht. "Sie haben den Kanal ausgebaggert und den Schlamm mitten in die Bucht gekippt. Sie haben sechs gegen ein halbes Dutzend getauscht." Heute hat er wieder mal hunderte von Plastik-Getränkeflaschen und ein Dutzend Bretter aus dem Kanal gefischt. Jedes Jahr stellt Brasilien mehr als sieben Milliarden dieser Flaschen her. Hier enden viele von ihnen.

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Luis hat seit seinem Hausbau schon wieder einige tausend Flaschen auf der Insel deponiert. Demnächst will er damit ein noch tragfähigeres Floß bauen. "Das schiebe ich unter das Haus, um es etwas aus dem Wasser herauszudrücken." Danach baut er einen zweiten Stock "inklusive Sonnenterrasse".

Ideen hat er im Überfluss. Und ein starkes Sendebewusstsein. "Vielleicht kann mich ja mal jemand aus Deutschland einladen. Ich würde den Deutschen gerne erzählen, was es mit der Konsumgesellschaft so auf sich hat."

Text + Fotos: Thomas Milz