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[kol_4] Macht Laune: Nachtmusik

Es ist schon lange dunkel. Nach der feuchten Hitze des Tages ist die Nacht eher lau. Der orangefarbene Schein der Straßenlaternen lässt die bunt angemalten Häuser auf beiden Seiten der kopfsteingepflasterten Straße noch kulissenhafter erscheinen als am Tage, fast wie in einer Sepiafotografie aus alten Zeiten. Die hölzernen Fensterläden sind geschlossen, nur wenig rührt sich. Es ist Freitag, es geht auf Mitternacht zu - und wenn man angestrengt lauscht, bemerkt man, dass der Wind mehr die Straße hinaufträgt als nur den schweren Duft von Blüten: Da ist eine Idee von Gesang in der Luft, jetzt noch kaum zu hören, im nächsten Moment schon ein wenig näher - und dann sieht man die Prozession langsam die Steigung hinaufwandern. Der Himmel ist klar, es hat den ganzen Tag nicht geregnet, deswegen haben sich heute viele Menschen auf dem Platz vor der Kirche versammelt, um singend durch die Altstadt Olindas zu ziehen.

Ganz vorne gehen die Musikanten, dirigiert von einem alten Mann mit weißen Haaren: Ein riesengroßer Bursche mit einem winzigen Banjo, ein winziger Bursche mit einer riesengroßen Gitarre, ein Geiger, der vielleicht nicht immer ganz den richtigen Ton trifft, dafür aber um so lebendiger zwischen den anderen herumtanzt, eine Flötenspielerin, ein Herr mit Zopf, Bart und Triangel, einer mit einer Rassel, die er sich aus einer Konservendose gebastelt hat, ein weiterer mit einer großen Trommel. Hinterdrein und rundherum folgen die anderen. Alle kennen die Worte der schönen, melancholischen Lieder, die meisten singen mit, die übrigen schlendern mit zufriedenem Lächeln nebenher.



Die Nachbarn haben es auch bemerkt, wahrscheinlich haben sie schon, wie jeden Freitag, darauf gewartet: Türen öffnen sich, ganze Familien lehnen sich aus den Fenstern, plötzlich laufen Kinder auf der Straße herum. Die Prozession nähert sich nur bedächtig, gerne machen die Sänger unter einem Fenster halt und bringen einer Dame ein Ständchen, und die Dame muss nicht einmal eine besonders schöne sein, um sich diese Ehre zu verdienen. Dann sind sie ganz nah, erst jetzt kann man den Klang der einzelnen Instrumente genau voneinander unterscheiden. Man versucht, sich die Melodie zu merken, versteht ein paar Brocken des Refrains - und dann sind sie auch schon vorbeigezogen, verschwinden hinter einer Biegung. Die Kinder der Nachbarn werden hereingerufen, die Häuschen schließen ihre Fenster, als wären es müde Augen. Nur Minuten später ist alles wieder so still, wie es vorher war. Es bleibt nur eine Ahnung von Musik im Wind, und man kann fast nicht anders, als sich zu fragen, ob man sich das Gesehene vielleicht doch nur eingebildet hat, denn ein bisschen surreal und gespenstisch war es schon.

Aber andererseits hätte in einer eingebildeten Prozession wahrscheinlich der Mann gefehlt, der zwischen den Sängern eine Schubkarre mit einer großen, mit Eis gefüllten Styroporkiste herum schob, aus der er kaltes Bier verkaufte und so mit seinem Geschäftssinn dem Ereignis den notwendigen Schuss bodenständigen Realismus verschaffte.

Text + Foto: Nico Czaja