suche



 


[art_3] Spanien: Jaén – die vergessene Stadt Andalusiens

Olivenhaine – soweit das Auge reicht. Oliven auf jedem Teller. Oliven in jeder möglichen Form und Konstellation. Wer keine Oliven mag, sollte Jaén, die andalusische Provinzhauptstadt im Zentrum des größten Olivenanbaugebiets der Welt, wohl eher meiden. Denn alles in der Provinz Jaén, wo 150 Millionen Olivenbäume ihr silbriggrünes Blattwerk der andalusischen Sonne entgegen recken, ist eine Hommage an die Olive. Überall in den Bars von Jaén bekommt man die kleinen, gesunden, aber kalorienreichen Früchtchen zu Wein oder Bier gratis dazu. Und nirgends schmecken sie so gut wie hier, nirgends findet man sie in so vielen Variationen: mariniert in tausend verschiedenen Soßen, mal würzig, oder sauer in Essig, mal in Zitrone, oder extrem knoblauchig, mal mild und fast süßlich.



An den Oliven hat es nicht gelegen, dass bei einer Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts von der renommierten spanischen Tageszeitung EL PAIS durchgeführten Untersuchung über Lebensqualität in spanischen Provinzhauptstädten Jaén den letzten Platz belegte. Provinziell, einsam und abgeschieden, abseits der großen Verkehrswege, kaum Freizeitangebote, extrem hohe Arbeitslosigkeit und niedriges Einkommen, Jugendflucht und Überalterung – dies waren einige der Kriterien, die zum harten Urteil über Jaén führten.

Inzwischen hat sich Vieles verändert. Neue Parks, Sport- und Spielplätze wurden während der letzten 15 Jahre angelegt, ein Jazzfestival im November und „Lagarto Rock“ , eine Serie von Rockkonzerten im Juni, mit der die Stadtväter die Jugend erfreuen wollen, bereichern den Kulturkalender.

Die nicht sehr zahlreichen Touristen, die den Weg in die inmitten des weiten Meers von Olivenhainen liegende Stadt finden, kommen jedoch wegen Sehenswertem aus längst vergangenen Epochen.

So bin auch ich zusammen mit meiner Freundin Amparo aus Sevilla, treue Begeleiterin auf meinen Reiserouten durch Andalusien, vor allem wegen der Renaissance-Bauwerke nach Jaén gekommen. Beginnen muss jede Stadterkundung beim Monument Nummer 1 und das ist in Jaén – wie in den meisten spanischen Städten – die im Verhältnis zur bescheidenen Stadtgröße überdimensionale Kathedrale.


Es handelt sich um einen monumentalen Renaissance-Tempel, 90 Meter lang, dabei aber extrem breit (über 60 Meter). Damit gehört die Kathedrale von Jaén zu den größeren in Spanien. Begonnen vom Architekten Andrés de Vandelvira im Jahre 1548, zog sich die Bauzeit bis etwa 1700. Den besten Blick auf den großen Baukomplex hat man vom Burghügel des Castillo de Santa Catalina. Von außen erzeugt der rechteckige Baukörper einen Eindruck klassischer Strenge und Klarheit.

Aufgelockert wird der gleichmäßige Renaissance-Rhythmus an der barockisierten Frontfassade, die zwischen 1667 und 1684 gestaltet wurde. Alle Skulpturen und Reliefs der Fassade sind von Pedro Roldán, dem virtuosen Sevillaner Barockbildhauer.

[zoom]


Es ist sein größtes Werk außerhalb Sevillas und zugleich eine Ausnahme in seinem Gesamtwerk, da er hier in Stein gemeißelt hat während er in Sevilla fast nur Holzskulpturen anfertigte. Zwischen den Türmen bevölkern neun Monumentalskulpturen von Roldán das Obergeschoß der Fassade: die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes und die vier Kirchenväter Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und Gregor.




[zoom]


Im Zentrum thront mit Reichsapfel der heilige König Ferdinand III., Eroberer von Jaén und Sevilla. Im Untergeschoß, eingerahmt von korinthischen Säulen, ziehen die Statuen des Santiago und des Erzengels Michael die Aufmerksamkeit auf sich. Alle diese Werke Roldáns strahlen eine enorme Dynamik aus, besonders die Reliefs, die die Himmelfahrt Marias darstellen und die dramatische Szene des „Engelssturzes“: Erzengel Michael besiegt mit schwungvollem Schwertschlag Luzifer, der mit Monstergesicht und weit aufgerissenem Mund kopfüber in die Tiefe stürzt.

[zoom]


Wenn man sich an der barocken Fassade, die mit ihren schönen Engeln und exquisiten Monstern wie ein Freiluft-Hochaltar wirkt, satt gesehen hat, betritt man die weite, dreischiffige Hallenkirche. Das Innere der Kathedrale wird dominiert von mächtigen korinthischen Bündelpfeilern, die Kuppeln und Gewölbe tragen. Beeindruckend ist die hohe Hauptkuppel, die frei in der Luft zu schweben scheint. Insgesamt gibt es 18 Kapellen an den Seiten und im Chorumgang. Uns gefallen am besten die Capilla de San Miguel, beherrscht von einem riesigen, ovalen Barockgemälde, das wiederum den Erzengel Michael darstellt. Und die Capilla de San Fernando, wo die populärste Christusskulptur von Jaén verehrt wird: Nuestro Padre Jesús Nazareno, den man überall in Jaén liebevoll respektlos „El Abuelo“ , Opa, nennt. Dem Abuelo zu Ehren wurde eine der größten religiösen Bruderschaften Spaniens gegründet, die heute über 7.000 Mitglieder hat. In der Karfreitagnacht hat beinahe jeder Bewohner von Jaén die gleiche Verabredung: „que me voy con el Abuelo.“ (Heut begleite ich den Opa). Mit diesen Worten schließen sie sich dem Paso der 400-jährigen Christusstatue auf dem Weg durch die Altstadt an.

Zum Abschluss der Kathedralenbesichtigung sollte man auf jeden Fall den Kapitelsaal und die Sakristei, ein Werk des Architekten Vandelvira, besuchen. Beide Baukomplexe gehören zu den reinsten Renaissance-Schöpfungen in Spanien. Empfehlenswert ist auch ein Blick in das Museum der Kathedrale. Es bietet eine Anzahl sakraler Kleinode aus Gold, Silber und Alabaster aus den Epochen der Renaissance und des Barock; zu den Höhepunkten zählen Skulpturen von Alonso Cano und Martínez Montañés.

Wem dies an Sakralkunst noch nicht reicht, der kann durch die Carrera de Jesús einige Schritte gen Westen gehen, bis er zum Convento de Santa Teresa kommt. Das Gebäude ist unscheinbar, aber in seinem Innern liegt einer der bedeutendsten Schätze religiöser Literatur verborgen: eines der beiden Original-Manuskripte des „Cántico“ vom großen Mystiker San Juan de la Cruz.

Oder man wendet sich Richtung Osten, zur Kirche San Ildefonso. Es ist die größte Kirche Jaéns und wie die Kathedrale vorwiegend im Renaissancestil erbaut. Ein Tempel mit mächtiger Doppelturmfassade und jonischen Säulen, die das Hauptportal einrahmen. Das Seitenportal ist in wunderbarem plateresken Stil gehalten und zeigt die Szene, in der die Jungfrau Maria dem heiligen Ildefonso das Meßgewand überreicht.


Im Innern übertrifft diese Kirche sogar die Kathedrale: die spektakulären barocken Hochaltäre sind von herausragender Qualität und reich geschmückt.

Nach soviel Kunst und Goldglanz ist es Zeit für ein ausgedehntes Mittagsmahl mit anschließender kurzer Siesta. Amparo schlägt vor, in die von einem Freund empfohlene Tapas-Bar „El Abuelo“ zu gehen. Eine gute Wahl. Wir beginnen dort mit dem erstaunlich guten Rotwein der Region und Pipirrana. Trotz des seltsamen Namens ist diese Vorspeise köstlich: es handelt sich um die lokale Variante von Salmorejo (dickflüssiges Gazpacho), die mit Schinken und hartgekochten Eiern serviert wird. Danach bestellt Amparo eine Ración Morcilla (Blutwurst). Diese ist gebraten, schmeckt köstlich und sehr orientalisch, da mit viel Zimt gewürzt. Aber es ist zuviel, und wir denken bereits an unser Dessert. Wer in Jaén Süßes kosten möchte, der sollte wie wir zum nahen Convento de las Bernardas gehen. Die Nonnen dieses Klausurklosters verkaufen dunkle Versuchungen: Brandy-Schokoladen-Trüffel. Diese selbstgemachten Pralinen von respektabler Größe, von denen eine einzige wahrscheinlich mehrere Tausend Kalorien hat, machen umgehend süchtig. Darüber hinaus haben die Bernardas viele arabisch inspirierte Knabbereien im Angebot.

Wie in allen andalusischen Städten, trifft man auch in Jaén auf Spuren der arabischen Vergangenheit. Wir stehen vor dem Palacio de Villadompardo (1592). Auf den ersten Blick gleicht er einem normalen Renaissance-Palast. Aber 1913 entedeckte man unter dem Palast die größten und am besten erhaltenen Arabischen Bäder Spaniens. Wir steigen hinab in die kühlen, düsteren Badehallen aus dem 11. Jahrhundert. Obwohl sie damals einen sehr profanen Zweck erfüllten, haben diese Räume heute in leerem Zustand eine beinahe sakrale Atmosphäre. Das Dämmerdunkel wird erhellt durch Tageslicht, das durch sternförmige Öffnungen in den Gewölben fällt, wobei einige dieser Sterne dunkel bleiben, da an diesen Stellen die Palastmauern direkt auf den Bädern stehen. Die meisten Palasträume beherbergen heute die Sammlungen des Museo Internacional de Arte Naif Manuel Moral. Dieses kuriose Museum ist das größte seiner Art in Spanien und besitzt eine der größten Sammlungen naiver Kunst weltweit. Es ist extrem unterhaltsam, denn in diesem Museum darf gelacht werden. Jedenfalls ist das angesichts von soviel (unfreiwilliger) Komik kaum zu vermeiden. Es gibt Bilderserien, die wie Comics aussehen, sehr bunt, bisweilen drollig. Dieses Museum ist für alle, die Kunst nicht ganz so ernst nehmen, ein echter Geheimtipp.

Nun wenden wir uns wieder monumentaler Kunst zu und bewundern La Magdalena, die älteste Kirche von Jaén. Ihr Glockenturm war ein ehemaliges Minarett und im Patio befindet sich noch das Wasserbecken, das den Moslems zur rituellen Waschung vor dem Betreten der Moschee diente. Die Kirche selbst ist leider geschlossen und wir wandern die steile Gasse der heiligen Ursula hinunter und kommen zum Hospital San Juan de Dios.


Heute dient der ehemals sakrale, weit verzweigte Gebäudekomplex als Konferenzzentrum. Der Konferenzsaal ist einzigartig: es ist die alte Klosterkirche. Hinter dem Rednerpodium befindet sich der Hochaltar, so dass Dutzende von Heiligen und Engeln auf die diskutierenden Konferenzteilnehmer herabblicken.

Am Ende unserer Entdeckungstour durch Jaén steigen wir in ein Taxi und fahren hinauf zum Castillo de Santa Catalina. Wir kommen gerade noch rechtzeitig zum Sonnenuntergang. Leider geht die Sonne nicht über der Kathedrale, sondern über der anderen Seite der Stadt unter. Wir gehen bis zum Gipfelkreuz am östlichen Ende des Burghügels und warten bis die Nacht hereinbricht. Da wird plötzlich die Kathedrale von Scheinwerfern in ein goldenes Licht getaucht. Wie ein Lichtkristall, ein strahlendes Märchenschloß, liegt sie dort vor uns in dunkler Tiefe. Jaén, die vergessene Stadt Andalusiens, ist doch einen Besuch wert.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Restaurants und Tapas-Bars
El Abuelo
C. Las Bernardas Nr. 14
Große Auswahl an typischen und originellen Tapas

Taberna El Gorrión
C. Arco del Consuelo
Nahe der Kathedrale, rustikales Ambiente in einem Haus aus dem 18. Jahrhundert, vor allem kalte Tapas-Spezialitäten und gute Rotweine der Region

Monumente – Öffnungszeiten:
Kathedrale: Eintritt frei, geöffnet Mo. – Sa. 8.30 – 13.00 und 16.00 – 19.00
Sonntags und an Feiertagen: 9.00 – 13.00 und 17.00 – 19.00
Museum der Kathedrale (einschließlich Sakristei und Kapitelsaal):
Eintritt: 3 Euro, geöffnet: 10.30 – 13.00 und 17.00 – 19.00
Mo. geschlossen

Palacio de Villadompardo: Arabische Bäder, Museum für Naive Kunst und
Museum für Volksbräuche:
Eintritt frei für alle EU-Bürger (Personalausweis!)
geöffnet: Di. – Fr. 9.00 – 20.00
Sa. / So. 9.30 – 14.30
Mo. geschlossen

Provinzmuseum (Museo Provincial)
Eintritt frei für alle EU-Bürger (Personalausweis!)
geöffnet: Di. 14.30 – 20.30; Mi. – Sa. 9.00 – 20.30
Mo. + So. geschlossen
Diese große Museum ist eine Mischung aus Archäologischem Museum und Museum der Schönen Künste. Hier findet man unter einem Dach iberische Keramik und Skulpturen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. sowie Zeichnungen von Picasso und anderer Avantgarde-Künstler des 20. Jahrhunderts.