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[art_2] Brasilien: Kunst gegen Putschisten
Ein Blick ins besetzte Capanema-Haus in Rio de Janeiro

Ein halbnackter Mann springt wild durch das zweite Stockwerk des Palácio Capanema. Er führe die „Entdeckung Brasiliens“ auf, ein von ihm selbst geschriebenes Theaterstück. Zwei Dutzend Zuschauer sind begeistert. Einige von ihnen hausen seit einigen Tagen auf dem Stockwerk, im Hintergrund stehen ihre Campingzelte.

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Seit dem 13. Mai halten Aktivisten aus der Kunstszene von Rio de Janeiro das Gebäude besetzt. Es gilt als Symbol moderner brasilianischer Architektur, ein früher Niemeyer. Der Stararchitekt ist auch im Inneren präsent, ganze Wände sind von seinen gezeichneten Entwürfen bedeckt.

Am 12. Mai hatte der Senat die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff suspendiert, einen Tag später verkündete Interimspräsident Michel Temer das Ende des Kulturministeriums. Das 1985, also direkt nach dem Ende der Diktatur, ins Leben gerufene Ministerium sollte dem Bildungsministerium unterstellt werden.

Der landesweite Aufschrei war groß. In zahlreichen Landeshauptstädten besetzten Aktivisten Büros und Gebäude des Kulturministeriums, darunter auch den Palácio Capanema in Rio, Sitz des Kulturministeriums in der „cidade maravilhosa“. Die Verwaltung des Gebäudes hatte sich mit Rousseff solidarisch erklärt und den kollektiven Rücktritt eingereicht. Solange dieser nicht akzeptiert sei, werde man Dienst nach Vorschrift schieben.

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So schauten die Putz- und Wachmannschaften tatenlos zu, wie das Gebäude von den Aktivisten besetzt und in ein Zeltlager umgewandelt wurde. Die Besetzer organisierten eigene Wachtrupps, die die Unversehrtheit der Millionen schweren Kunstgegenstände im Gebäude garantieren sollen. Im Innenhof geben einige der wichtigsten Musiker Brasiliens Solidaritätskonzerte, darunter Erasmo Carlos, lenine und Caetano Veloso.



Der Druck auf die Regierung zeigte Wirkung. Ende Mai nahm Interimspräsident Temer die Schließung des Ministeriums wieder zurück. Ein Teilsieg der Besetzer, die jedoch längst viel weiter denken. Man werde das Gebäude erst räumen, wenn die legitime Präsidentin Rousseff wieder die Amtsgeschäfte übernehme. Mit der Übergangsregierung von „Putschist“ Temer werde man auf keinen Fall verhandeln.

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Derweil gab der neue Kulturminister Marcelo Calero bekannt, die besetzten Gebäude nicht gewaltsam räumen zu lassen. Vorerst scheint der Palácio Capanema also seine neuen Bewohner behalten zu dürfen.

Text + Fotos: Thomas Milz

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