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[kol_1] Grenzfall: Das globale Verständnis
Pfingstsonntag in São Luís de Piraitinga

"Und als der fünfzigste Tag gekommen war, versammelten sich die ersten Christen, versteckt an ein und demselben Ort. Und plötzlich geschah etwas Außergewöhnliches. (...) Wind und Feuer signalisierten, dass der Heilige Geist in Aktion getreten war. (...) Und alle waren erfüllt vom Heiligen Geist, und sprachen in verschiedenen Sprachen, so wie es der Heilige Geist ihnen aufgetragen hatte."


Die Augen dem Himmel zugewandt, der heute so blau strahlt, rufen die Jungs: "Du schaffst das schon, streck die Hand aus." Aber dem Jungen ganz oben auf der menschlichen Pyramide gelingt es nicht, das an der Spitze des Holzmasts aufgehängte Geld zu greifen. "Sie reiben den Mast mit Öl ein, damit es schwieriger wird, hinaufzuklettern. Aber heute Abend werden sie es schaffen, wenn sich das Öl abgerieben hat und der Mast weniger rutschig ist," erzählt eine fliegende Händlerin. Der Platz ist voller Menschen, Farben und Spruchbändern, die aus den Fenstern der umliegenden Häuser hängen.

Wir befinden uns in der "Kaiserlichen Stadt São Luís do Paraitinga", inmitten des Serra do Mar-Gebirges, zwischen Taubaté und der Küste von Ubatuba, im Norden des Bundesstaates São Paulo. Der Name kommt aus dem Tupi-Guarani: Parahytinga bedeutet klares Wasser.

Die Stadt mit ihren heute 10.000 Einwohnern war im 18. und 19. Jahrhundert ein Versorgungsposten für die Minenregion des heutigen Minas Gerais und die Kaffeeroute, die aus dem Tal des Paraíba in Richtung Küste herüberführt. Das Örtchen, das 1769 gegründet wurde, lebte damals vom Kaffee-, Baumwoll- und Bohnenanbau, Mandioka, Zuckerrohr und Mais.


Heutzutage zieht die Stadt vor allem Wochenendtouristen aus dem nicht allzu fernen São Paulo an. Die Straßen zu allen Seiten des zentralen Platzes quellen über vor Menschen, und mittendrin tanzen zwei riesige Puppen. "João Paulino und Maria Angú. Die Legende besagt, dass jemand mit Namen João Paulino die Puppen angefertigt habe, und dessen Frau Maria hieß. Zwar sind die beiden schon im Himmel, aber ihre Puppen sind geblieben."

Das Fest des heiligen Geistes, auch bekannt als Pfingsten bzw. Pentecoste, das griechische Wort für den fünfzigsten Tag, ist ein populär-katholisches Fest mit zahlreichen synkretistischen Einflüssen. Inmitten der Pfingstsonntagsprozession schreitet der "Kongo-König", der mit lauter Stimme die Gebete des Padre wiederholt, welcher die Prozession anführt. Das Fest erstreckt sich über zehn Tage, mit dem Pfingstsonntag als Höhe- und Schlusspunkt der Festivitäten.

Überall hört man die Trommeln den Rhythmus zum Moçambique schlagen, der der beliebteste Tanz der afrikanischen Sklaven war. Jedes Mal, wenn ihr Herr ihnen einen Tag freigab, feierten sie. Einige Musiker bilden einen Halbkreis und preisen singend den Heiligen Benedikt zum Rhythmus der Trommeln und Tamburins. Der Rest der Gruppe schlägt im Takt Holzstöcke gegeneinander und stampft mit den Füssen.

Die Gruppen tanzen den ganzen Tag bis spät in die Nacht hinein, wenn der schwache Schein der Laternen den Platz in gelbes Licht taucht. Die Hitze des Tages ist verflogen und hat einer kühlen Brise Platz gemacht, einem herbstlichen Vorboten.


"Komm schnell, die Jungs sind fast schon oben." Ein ohrenbetäubendes Geschrei ertönt als sich die Jungs den Mast immer weiter hinaufarbeiten. Es sind etwa 20, die eine Pyramide gebildet haben, von denen der oberste bis auf 50 Zentimeter an das Geld herangekommen ist. Da geschieht es. Zuerst ist ein leichtes Schwanken in den unteren Reihen auszumachen, welches sich langsam nach oben fortsetzt und schließlich die Pyramide zum Einsturz bringt. Einer nach dem andern fallen sie herunter, bis auf den obersten, der sich krampfhaft an den öligen Stamm klammert. Fünf Sekunden, zehn Sekunden, dann beginnt auch er zu rutschen. "Sie werden nicht eher aufgeben, bis sie es geschafft haben."

Von allen Seiten dröhnen die Trommeln, das Click-Clack der aneinander schlagenden Stöcke, sie alle sprechen eine rhythmische Sprache. Wir machen uns auf den Heimweg, ohne zu wissen, ob die Jungs endlich das Geld erreicht haben oder nicht. Oder ob sie es immer noch versuchen.

Text + Fotos: Thomas Milz