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[art_5] Bolivien: Ein Weg in die Unabhängigkeit
Kolping in Bolivien unterstützt Frauen bei der Unternehmensgründung

Im zweiten Stock des Kolpinghauses im bolivianischen Santa Cruz herrscht reger Betrieb. Junge Mädchen und Frauen jeden Alters sind auf dem Weg zu ihren Kursen im Centro de Educación: Modeschmuck herstellen, Puppen basteln, Kosmetik oder Tortenverzierung.

In Deutschland wären solche Kurse der Einstieg zu einem neuen Hobby. In Bolivien sind sie für viele eine Überlebenschance: "Die Hälfte unserer Kursteilnehmerinnen ist hier, um etwas zu lernen, womit sie genug Geld verdienen kann um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten", erklärt Carmen Luz Loza, die das Fortbildungszentrum leitet. "Was wir den Frauen hier beibringen, sind Fertigkeiten, mit denen sie Miniunternehmen gründen können."

Wenn man sich die Puppen, die Mabel herstellt, anschaut, ist das erst einmal schwer zu glauben. Die 25-Jährige bastelt "Cortillon en Sofp"s, für europäischen Geschmack recht kitschige Stoffgebilde, in deren Bäuchen Süßigkeiten und Spielzeug untergebracht werden können.

"Dieses Model ist bei meinen Kunden besonders beliebt", sagt sie, und zeigt auf einen schreiend bunten Clown. "80 Stück hat eine reiche Familie davon für den ersten Geburtstag ihrer Tochter bestellt und das bringt mir Arbeit für sechs Wochen."


Jede der Puppen wird gefüllt mit kleinen Geschenken vor einem der 80 Geburtstagsgäste stehen. Einen halben Tag braucht Mabel, um eine dieser Puppen herzustellen; jede verkauft sie für umgerechnet 4,50 Euro. Die Hälfte davon geht fürs Material drauf. Mit ihrem Tageslohn von nicht mal fünf Euro ist Mabel sehr zufrieden. "Wir brauchen dieses zusätzliche Einkommen, denn mein Mann verdient alleine nicht genug für uns und unsere kleine Tochter", erzählt sie. Außerdem macht ihr Basteln und vor Allem das Entwerfen der Puppen viel Spaß. "Das ist jetzt der dritte Kurs, den ich bei Kolping mache, und ich sehe, dass meine Puppen immer besser werden. Das hat sich rumgesprochen und ich bekomme immer mehr Kunden."

Geburtstage, Hochzeiten und Taufen werden in Bolivien groß gefeiert, nicht nur von den Reichen. Man kann es unangemessen finden, wenn in einem Land, in dem zwei Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben, die Mittel- und Oberschicht aufwändige Geburtstagspartys für Einjährige veranstaltet. Doch diese Festlichkeiten sind zugleich eine wahre Jobmaschine, die den Armen zu Gute kommt. "Alle Kurse, in denen es darum geht zu lernen, etwas für diese Feste herzustellen, sind bei uns äußerst beliebt. Gefeiert wird in Santa Cruz immer, deswegen ist alles, was damit zusammenhängt, ein sicheres Geschäft", meint Carmen Luz Loza und zeigt die Dekoration aus Luftballons, die sie an diesem Tag mit ihren Schülerinnen gemacht hat.

Wer sich mit einem eigenen Unternehmen, und sei es noch so klein, selbständig machen will, der muss mehr können, als Puppen oder anderes zu basteln. "Wir bieten zusätzlich Kurse an, in denen die Teilnehmerinnen lernen, Kosten und Zeitaufwand zu kalkulieren. So gibt es bei uns Buchhaltungskurse und solche, in denen wir erklären, wie man für sich selber wirbt." Carmen Luz Loza weiß, dass es ohne diese Fähigkeiten auf dem hart umkämpften Markt der Festlichkeiten nicht geht.

Die Nachfrage nach jeder Art von Kursen ist groß, und das, obwohl Kolping für sein Fortbildungsangebot keine Werbung macht. Denn auch wenn solche Kurse ebenfalls anderswo angeboten werden, hat es sich herumgesprochen, dass sie hier bei Kolping nicht nur besonders gut, sondern auch für diejenigen erschwinglich sind, die sie am Dringendsten brauchen. 6,50 Euro müssen die Teilnehmerinnen für den zweiwöchigen Kurs aufbringen, außerdem die Kosten für das Material - das ist deutlich weniger als bei kommerziellen Anbietern.


Aber das alleine ist für Wilma nicht das Wichtigste. Die 30-Jährige hat das Backen von ihrer Mutter gelernt und lässt sich nun in die Kunst des Tortenverzierens einweisen. "Für Kolping war Fortbildung und Solidarität das Wichtigste. Deshalb ist er für uns ein Vorbild. Wir alle helfen uns gegenseitig und sind uns einander eine große Stütze, auch moralisch." Die alleinerziehende Mutter arbeitet als Hausmädchen - bislang. Wenn alles gut geht, will sie sich in ein paar Jahren als Konditorin selbständig machen.

Auch für Deidi ist der Nachmittag im Kolpinghaus etwas Besonderes. "Kolping ist für mich wichtig. Wir kommen hier nicht einfach nur zusammen um etwas zu lernen, sondern sind Teil einer großen Familie. So habe ich das Gefühl, nicht alleine zu sein." Die 26-Jährige hat sich auf Fingernageldesign spezialisiert und bereits einen festen Kundinnenstamm. "Das gute am Nageldesign ist, dass die Nägel schnell wachsen und meine Kundinnen alle zwei Wochen zu mir kommen müssen", erzählte sie, während sie mit ebenso ruhiger wie geschickter Hand ein kompliziertes Muster auf die Nägel ihres Models malt. "Früher trugen die Damen aufwändig verzierte Nägel nur zu Hochzeiten oder an Geburtstagen, aber heute gehört es einfach zu einem gepflegten Äußeren, schön bemalte Fingernägel zu haben. Davon kann ich inzwischen ganz gut leben", freut sich Deidi.

Geld verdienen, sein Leben bestreiten zu können, selbständig werden - das ist nicht nur für die jungen Mütter eine wichtige Sache, sondern auch für viele der Schülerinnen, die hierher kommen. Jenny ist zwar erst zwölf Jahre alt, aber auch sie ist nicht nur zum Vergnügen in das aus roten Backsteinen erbaute Kolpinghaus gekommen.

Ihre Eltern sind vor einem Jahr nach Spanien ausgewandert um dort Geld für die Ausbildung ihrer drei Kinder zu verdienen. Seitdem lebt Jenny bei ihrem Onkel, und der verlangt, dass sie etwas zum Lebensunterhalt beiträgt.

Sie mag kaum von den bunten Perlen aufschauen, aus denen sie ein Armband knüpft. "Ich nutze meine Schulferien um etwas zu erlernen, womit ich Geld verdienen kann. Schmuck herzustellen macht mir Spaß und wenn ich wirklich gut bin, kann ich damit ein gutes Geschäft machen." Jenny träumt davon, eines Tages ein eigenes Modeschmuckgeschäft zu besitzen, aber bis dahin ist es ein weiter Weg. "Im Moment verkaufe ich meine Ketten noch in der Schule an Freundinnen. Aber es kommen auch schon Mädchen aus anderen Klassen, die mich fragen, ob ich ihnen etwas machen kann", sagt sie nicht ohne Stolz. Einen Euro verlangt sie für ein Armband, an dem sie zwei Stunden lang arbeitet. Nach Abzug der Materialkosten bleiben Jenny noch 50 Cent. Das mag nicht nach viel klingen - aber es der erste Schritt in eine Zukunft ohne Armut.

Text: Katharina Nickoleit
Fotos: Christian Nusch

Tipp: Katharina Nickoleit hat einen Reiseführer über Bolivien verfasst, den ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
139 Seiten; broschiert
ISBN-10: 3896623648
ISBN-13: 978-3896623645
Verlag: Reise Know-How Verlag Hermann
2. Auflage (01.09.2009)