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[kol_1] Amor: Flossenballett mit Orchester
Unterwasserliebe auf El Hierro

Bei klarer Sicht erhebt sich in der Ferne die weiße Bergspitze des 3718 Meter hohen Vulkans Teide der bekannteren Schwesterinsel Teneriffa aus dem Blau des Atlantiks. Davor kann ich die zweitkleinste Kanareninsel Gomera ausmachen, die wie ein Schildkrötenpanzer aus dem Meer ragt. Ich befinde mich im Parque Rural von Frontera, der unter Naturschutz steht und sich, gefördert durch EU Mittel, zu einem ansehnlichen Wandergebiet entwickelt hat.


Das Wichtigste an einem Wandergebiet ist unberührte Natur, keine Autos, schöne Rastplätze, eine Nase voller Naturaromen und besonders romantische Aussichten. Im Wald von Hoya del Morcillo gibt es all das. Zwischen mächtigen Nadelbäumen, deren Rinde von Waldbränden schwarz vernarbt ist, erklimmen wir gemächlich eine Höhe von 1200 Metern, genießen frisches Bergquellwasser und die traumhafte Aussicht gen Süden. El Hierro wurde von der UNESCO zum Biosphären-Reservat erklärt und ist wie alle Kanarischen Inseln vulkanischen Ursprungs. Sie ist die kleinste und geologisch die jüngste der Kanaren, lediglich 0,5 Million Jahre alt.

Der Grund meiner Reise ist jedoch nicht das Wandern, was wohl die meisten Besucher hier her lockt, sondern das Tauchen. Der Atlantik um die Insel verspricht 18 bis 20°C Wassertemperatur das ganze Jahr über, von August bis November sollen es sogar 22-23°C sein; und Sichtweiten von 40 Metern, das will ich kaum glauben.


Tauchgang 103. 55 min. 27,0 m. La Restinga.
Es ist windstill in der Bucht von La Restinga. Der erste Tauchgang im Atlantik steht uns bevor. Kaum sind wir dem ruhigen Hafenbecken entkommen, lässt der Guide uns im Schlauchboot hart die Wellen nehmen, nichts für Fliegengewichte. Noch einmal durchzählen, Tauchgangsbeschreibung, Partnercheck und Anker raus in Hoyos del Feo. Das Wasser ist angenehm, die Unterwasserlandschaft neu, für mich alles unentdeckt, wunderschön. Und wir haben Glück, denn bei stärkerem Wind wird diese Küste nicht angefahren, so dass man auf die tauchsicheren Plätze im Mar de las Calmas, das seinem Namen alle Ehre machen soll, ausweichen muss.

Tagsüber sind sie normalerweise vergraben, oft nur Augen über dem Sand zu sehen. Sie sind Einzelgänger und jagen gerne nachts schlafende Fische und anderes Getier. Sie beißen Menschen nur, wenn sie provoziert werden und wirken mit ihrer Färbung und Form urzeitlich. Ihren Namen haben sie wahrscheinlich durch die seitlich angewachsenen Brustflossen, die sie engelartig gleiten lassen. Eine seltsame Übergangsform zwischen Hai und Rochen. Man unterscheidet 15 Arten, über die noch wenig bekannt ist. Squatina, squatina wird er genannt, der gewöhnliche Engelshai.


Natürlich haben wir ihn aufgeschreckt, allzu oft kommen hier keine Taucher vorbei - so genüsslich lag der Hai auf dem Sand und verdaute seine Mahlzeit. In Punta Restinga El Río traf ich ihn noch einmal, diesmal auf mit Algen bewachsenem Felsriff liegend, einen langen Trompetenfisch zwischen den Zähnen, dessen Schwanz noch ein paar Zentimeter aus dem Maul ragte. Scheinbar stört es den Hai nicht, dass ich ihn minutenlang aus einiger Entfernung beobachte. Doch ich muss weiter der Gruppe folgen, die ihn aufgrund seiner exzellenten Tarnung gar nicht bemerkt hat.

Tauchgang 117. 53 min. 31,6 m. El Desierto.
Der am weitesten westlich im Mar de las Calmas gelegene Tauchplatz. Die Unterwasserlandschaft ist ein rot-violettes Farbenmeer. Höhlen in geringer Wassertiefe. Eine Gruppe Sandaale tanzt. Wenn der erste vor Schreck zuckt, sind alle blitzschnell wie vom Meeresboden verschluckt, als wären sie nie da gewesen.

Zuerst steht Pancho dem Unterwasserfotografen Modell, er wirft sich in Pose. Manche Meeresbewohner erliegen der Faszination der Kamera. Wie ein über Jahre gut eingespieltes Team stehen sich die beiden gegenüber. Heute mache ich seine Bekanntschaft. Pancho, ein Zackenbarsch von fast meiner Körperlänge - dem Anschein nach. Unterwasser wirkt alles 33% größer und 25% näher als an Land. Pancho schwimmt Seite an Seite mit mir und lässt mich nicht aus den Augen. Es ist sein Revier. Ich erahne die Größe seiner Welt. Er schaut mich an und plötzlich bin nicht mehr ich die Beobachterin. Meine Ausrüstung ist mein Schutz und mein Käfig zugleich. Ich kann nicht wie er, begrenzt in Aufenthaltsdauer und Abtauchtiefe. Ich bin nur Zaungast. Wie ein eingesperrtes Tier in einem Zoo komme ich mir vor, wenn Pancho mich anschaut. Rollenwechsel. Ich tauche schneller, will seinem Blick ausweichen, will näher zu meinen Artgenossen. Mir wird etwas mulmig zumute. Zum ersten Mal bin ich Unterwasser leicht irritiert. Irgendwann hat er genug. Gelangweilt, vielleicht vom Hunger getrieben, unterbricht er das Konzert der Röhrenaale durch einen schnellen Flossenschlag und verschwindet in den dunkelblauen Tiefen.


Tauchgang 121, 51 min. 33,7 m. El Bajón.
El Bajón ist einer der großartigsten Tauchgänge der Insel, lese ich vor der Reise. Das stimmt. 300 Meter von der Küste entfernt und unweit der Hafeneinfahrt La Restingas sieht man mit dem Fernglas eine rote Boje. Diese kennzeichnet ein Unterwassergebirge, das steil aus 100 Meter Tiefe bis auf acht Meter unter die Wasseroberfläche ragt. Drumherum Strömung und Schwärme von Fischen. Auf 20 Meter bildet sich zwischen den zwei Bergspitzen ein Plateau. Wenn man in dieser Tiefe den ersten Felsen verlässt, taucht gespenstisch groß aus dem Nichts der Nachbarfels auf. Der Blick an der Steilwand nach unten offenbart einen Artenreichtum sondergleichen. An der Spitze - ich kann nicht mehr sagen welche Himmelsrichtung - stehen Barrakudas, Makaronesen-Zackenbarsche, Streifenbrassen. In der Wand verstecken sich Muränen. Eine riesige Bernsteinmakrele jagt in der Tiefe. Ich schwebe beinahe regungslos vor einem überwältigenden Szenario. Einfach schauen, kann mich kaum satt daran sehen.


Am Anmutigsten finde ich einen Schwarm atlantischer Drückerfische. Jeder Drückerfisch hat, anders als zum Beispiel Schwärme von länglichen Barrakudas, etwas eindeutig Identifizierbares. Ich sehe, wie sie zur Vorwärtsbewegung ihre großen Rücken- und Bauchflossen relativ langsam zur Seite abwinkeln, ungewöhnlich. In dem Schwarm entsteht ein Eindruck von Asynchronität. Eine Momentaufnahme. Dafür verantwortlich ist die Bewegung der einzelnen Fische, die Winkel der Flossen, ihre Wasserlage, das Schillern in unterschiedlichen Farbnuancen. Es ist, als legten sie sich in ruhigen, ausgeglichenen Bewegungen in die Kurve. Sensationell. Beim Austauchen halte ich mich am Felsdach auf acht Meter Tiefe zum Deko-Stop fest, die starke Strömung reißt mich fast fort.

Deko-Stop
Beim Deko-Stop kann sich der Körper, der während des Tauchgangs mit Stickstoff aus der Atemluft gesättigt wurde, wieder den normalen Druck-Verhältnissen über Wasser anpassen. Dabei wird bei geringerer Tauchtiefe und damit geringerem Druck, der Stickstoff vom Blut abgegeben und über die Atmung ausgeatmet. Taucht man zu schnell auf, wird der Stickstoff zu schnell frei. Der Stickstoff kann Blasen bilden und unter Umständen Blutgefäße verstopfen, wodurch Zellen sterben können. Das ist ziemlich gefährlich.

Wieder an Land und später in der Nacht, nach einigen eisgekühlten Cervezas glaube ich, die Sterne vom Himmel holen zu können. Solange, bis die Augen vom Schauen zufallen.

Text + Fotos: Marianne Bender

Link:
Dass der Atlantik um El Hierro ein sagenhaftes Tauchgebiet ist, beweist man sich alljährlich im Fotowettbewerb, dem Open Fotosub. Dieser, seit 1996 als ein großer internationaler Wettbewerb der Unterwasserfotografie etabliert, findet an fünf Tagen im Oktober statt: [Open Fotosub]