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[art_3] Brasilien: Olinda - Oh! Schöne Lage für ein Städtchen

Dem Namen Olindas, so weiß ein jeder Olindenser zu berichten, liegt eine Geschichte zugrunde: Als der Portugiese Duarte Coelho sich mit seinen Männern Mitte des sechzehnten Jahrhunderts auf der Suche nach einem geeigneten Ort für seine Hauptstadt durch den Regenwald seiner neu gegründeten Kapitanie Pernambuco schlug, fand er sich unvermittelt auf der Kuppe eines Hügels wieder, zu dessen Füßen sich ein phantastisches Panorama bot: Der Wald reichte bis an den leuchtend weißen Strand, der sich von Nord nach Süd zog, so weit das Auge blickte, in sanftem Bogen eine große Bucht umschließend.

Das Meer so grün und klar, der Himmel so blau und weit, alles gewiß um so beeindruckender nach der halben Ewigkeit, die sich Coelho und sein kleiner Trupp mit der Machete durch die dichte Vegetation hatten kämpfen müssen - kurz gesagt, der sonst so nüchterne Portugiese wurde vom Anblick übermannt und seufzte lyrisch bewegt: "O schöne Lage für ein Städtchen!".


Geblieben ist "O schöne", auf portugiesisch Olinda.

Ich weiß nicht, ob die Geschichte stimmt, doch man kann diesem romantisch-verklärten Gründungsmythos zumindest eines zur Last legen: Die Indianer, die erst einmal in brutalen Kämpfen von diesem Hügel, den Coelho sich für sein friedliches Städtchen auserkoren hatte, vertrieben werden mussten, kommen nicht darin vor. Ungeachtet dessen lässt sich jedoch nicht leugnen, dass das erste, was ich dachte, als ich ein paar hundert Jahre nach dem Gründervater vom selben Hügel blickte, eine ähnliche Richtung nahm: So eine Aussicht hatte sich mir noch nirgendwo geboten.

Wäre ich also Coelho im sechzehnten Jahrhundert gewesen, und hätte es zu diesem Zeitpunkt einen Geschichtsschreiber in der Nähe gegeben, mit einem gewissen Talent dafür, die Fakten in eine der Erhabenheit der Geschichtsschreibung angemessene Form zu bringen, hieße die Stadt heute genauso.

Der Wald ist inzwischen ein bisschen weniger dicht, der Strand ein bisschen weniger weiß und das Meer ein bisschen weniger klar, aber Olinda hat auch in der Gegenwart einen Charme, der sich auf der Welt nicht leicht ein zweites Mal finden lässt.

Die Stadt ist eine weit ausgedehnte Metropole mit 350.000 Einwohnern, aber der historische Kern Olindas ist recht klein, fast wie ein Dorf inmitten einer Großstadt. Die "Cidade Alta", die Oberstadt, ist alt, eine der ältesten Brasiliens, und diese alte Dame auf dem Hügel hat schon einiges Kommen und Gehen der verschiedensten Gestalten gesehen.

Bald nach der Gründung der Stadt wurde in der Umgebung in großem Maßstab Zuckerrohr gepflanzt. Ein kleines Stück weiter südlich in der Bucht von Olinda fanden sich exzellente Bedingungen für einen Hafen: Mehrere Flussmündungen und ein natürliches Becken, rundum geschützt von Riffen, auf portugiesisch arrecifes. Man errichtete ein paar Hütten und einen Steg, um von dort aus den Zucker ins Mutterland, nach Portugal, zu verschiffen. Es dauerte nicht lange, und man sprach von diesem kleinen Ort, der noch kaum den Namen Siedlung verdiente, als Recife.

So lebten in Olinda die reichen Zuckerbarone, die sich gegenseitig im Errichten von Kirchen und im Ausrichten von Festen zu übertreffen versuchten, während auf ihren Plantagen Sklaven die Arbeit machten. In Recife hingegen, das schnell wuchs, wanderten immer mehr Händler aus Portugal ein, die sich um den Export aus der inzwischen blühenden Hafenstadt kümmerten. Zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts waren Olinda und Recife die reichsten Städte Brasiliens, mit Ausnahme vielleicht von Salvador da Bahia, der damaligen Hauptstadt des Landes. Pernambuco galt als eine der teuersten Gegenden der Welt.

1624 dann begann die Offensive der Holländer im Nordosten Brasiliens, die ebenfalls einen kolonialen Fuß in die Tür bekommen wollten, und es dauerte dreißig Jahre, bis es den Portugiesen gelang, sie zur Kapitulation zu zwingen - und auch dann nur, weil den holländischen Invasoren die finanziellen Mittel ausgingen.


Im Verlauf der Auseinandersetzungen wurde Olinda mit seinen vielen katholischen Kirchen von den einfallenden Protestanten fast vollständig nieder gebrannt. Als sie später die Herrschaft über Pernambuco besaßen, bemühten sie sich jedoch um den Wiederaufbau und sogar die Erweiterung der Stadt.

Auch nach dieser Zeit blieb Olinda der Sitz der politischen Macht, doch war das an Einwohnern zahlreichere Recife wirtschaftlich an Olinda vorbeigezogen. Dies führte dazu, dass die Recifenser zunehmend unzufriedener mit der Situation wurden, und so kam es zu Beginn des 18. Jahrhunderts zum Aufstand der Bewohner der Hafenstadt gegen die herrschenden Zuckeraristokraten Olindas. Die Kämpfe blieben lange unentschieden, bis die portugiesische Krone militärisch eingriff, den Krieg entschied, den Olindensern einen großen Teil ihrer Privilegien nahm und diese an die Bewohner Recifes übertrug.

Von diesem Zeitpunkt an verlor Olinda mehr und mehr an Bedeutung; die wichtigen Dinge spielten sich jetzt in der Hafenstadt ab, die einst nur ein Steg und ein paar Hütten im Schatten des Hügels mit den schönen Häusern, den reichen Leuten und der hübschen Aussicht gewesen war.

Den schönen Häuser, so sorgfältig wieder aufgebaut nach dem Brand von 1631, wurde nicht mehr die Pflege zu teil, die ihnen gebührte; die reichen Leute wollten nicht mehr auf einem Hügel wohnen, abgeschnitten vom wirklichen Leben; die hübsche Aussicht war stur und blieb, aber wurde von niemandem mehr beachtet, außer von ein paar Mönchen, die nach wie vor das Kopfsteinpflaster der steilen Straßen hinauf- und hinabwanderten.

Erst zweihundert Jahre später, als es in Mode kam, mit der Familie einen Ausflug an den Strand zu machen, widmete man der alten Schönheit wieder Aufmerksamkeit: Während zu kolonialen Zeiten die Strände Olindas hauptsächlich benutzt worden waren, um dort Müll zu vergraben oder auch den einen oder anderen Sklaven, der bei der Arbeit gestorben war, bevölkerten jetzt die Recifenser die palmenüberschatteten Sandstreifen und picknickten, damals in noch wenig freizügigen Badeanzügen, unter spitzenbehangenen Sonnenschirmchen.

Bis jedoch die Stadt auch über Recife hinaus als lohnendes Reiseziel bekannt wurde, sollte noch einmal viel Zeit vergehen. Aber wie Olinda sich heutzutage gibt, muss für einen zweiten Artikel aufgespart bleiben - zwischen zwei Artikeln allerdings vergeht nur ein Monat, Gott sei Dank.

Text: Nico Czaja
Fotos: Katrin Sperling + Nico Czaja