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[art_4] Spanien: Sevilla – Stadt der Wunder
Ein Porträt der andalusischen Kunstmetropole (Rezenssion)
 
Mein erster spontaner Gedanke als Spanien-Fan beim Durchblättern dieses Buches: das wurde aber auch Zeit! Denn nachdem es Hunderte von Büchern in deutscher Sprache über Florenz, Rom, Paris oder Venedig gibt, war eine Monografie, die Andalusiens Hauptstadt Sevilla gewidmet ist, überfällig. Schließlich hat Sevilla, die Maler-Metropole des Barocks, soviel Kunst hervorgebracht wie kaum eine andere Stadt und viele Werke, die heute in Museen in Madrid oder Paris ausgestellt werden, wurden in Sevilla oder von Sevillaner Künstlern geschaffen. Trotzdem wagte es bisher kein deutscher Verlag, Sevilla als Kunststadt mit einer Gesamtdarstellung der Sevillaner Bildhauer- und Malerschule zu würdigen.

Volberg, Berthold
Sevilla – Stadt der Wunder
Porträt der andalusischen Kunstmetropole mit großem Bild- und Textteil zur Semana Santa

(Nora) ISBN: 978-3-86557-186-1
Paperback
328 S. - 16 x 25 cm

Woran das liegt? Ganz einfach: Goethe hat nun mal eine "Italienische Reise" und keine andalusische unternommen und Generationen deutscher Bildungsbürger folgten ihm nach "Bella Italia", während Sevillas Kunstschätze vergleichsweise unentdeckt blieben. Es ist dem NORA-Verlag zu verdanken, dass diese Lücke nun geschlossen wird.

Sevillas Wunder werden in diesem Buch in drei Schwerpunkten präsentiert. Dabei ist der erste Teil der kürzeste und widmet sich dem arabisch-maurischen Kulturerbe und dem Übergang nach der Reconquista. Dies scheint thematisch etwas isoliert vom Hauptthema sakrale Barockkunst, hat aber in jedem Fall seine Berechtigung, denn man kann in einem Werk über Sevilla die islamische Vergangenheit nicht ausblenden, da sie bis heute spürbar ist. Und das Kapitel über die Entwicklung des andalusischen Patio von der arabischen Epoche bis zum Barock gehört zu den Glanzpunkten dieses Stadtporträts. Zum Abschluss des ersten Teils die Kathedrale Sevillas als "Tempel der Toleranz" zu bezeichnen, zeugt aber von einer etwas zu harmoniesüchtigen Sicht der Dinge und dient wohl der Überleitung.

Im Hauptteil des Werks von Berthold Volberg werden die wichtigsten Künstler des Sevillaner Barocks mit Kurzbiografien und Werksanalysen vorgestellt. Dieser Part ist sehr informativ und stellt auch das "Netzwerk" dar, mit dem die Sevillaner gegenseitig ihre Karrieren (auch am Königshof in Madrid) förderten. Das einzige, was man dem Autor in diesem Zusammenhang vorwerfen könnte, ist die Tatsache, bei der Präsentation des "Dreigestirns" der großen Barockmaler Sevillas (Velázquez, Murillo, Valdés Leal) einen vergessen zu haben: den genialen Francisco de Zurbarán, der mindestens ebenbürtig war. Das mag auch daran liegen, dass Zurbaráns Biografie weniger spannend ist als die seiner Kollegen. Über das Genie Velázquez und sein Werk wurde zwar schon viel geschrieben, aber der Bildhauer Martínez Montañés oder Europas einzige königliche Hofbildhauerin(!) Luisa Roldán sind einem deutschen Publikum noch weitgehend unbekannt. Außerdem wird die Bedeutung der Architektenfamilie der Figueroa und des Architekten Aníbal González für die Stadtlandschaft Sevillas hervorgehoben. Ein zusätzliches Verdienst dieses Buches ist, dass erstmals auch die wichtigsten neobarocken Künstler Andalusiens in deutscher Sprache gewürdigt werden. 

Der letzte, den Feierlichkeiten der Semana Santa gewidmete Teil ist der interessanteste Part des Buches und es gibt auch hier nichts Vergleichbares in deutscher Sprache. Der Autor demonstriert eindrucksvoll sein profundes Hintergrundwissen zu diesem barocken Spektakel der Karwochen-Prozessionen in Sevilla, die hier so zahlreich und prächtig sind wie nirgendwo sonst. In einem mitreißenden Essay beschreibt er die einzigartige Atmosphäre der "Madrugá", der Nacht des Karfreitags, in der Sevilla zur Bühne für die Prozessionen der berühmten Macarena und des "Jesús del Gran Poder" wird. Anschließend werden die Höhepunkte jedes einzelnen Tages mit vielen stimmungsvollen Fotos und kurzen Textbeiträgen kommentiert. 

Im insgesamt sehr informativen Anhang vermisst man einen Stadtplan Sevillas. Dafür gibt es aber andere sehr nützliche Materialien in kompakter Form:
  • das komplette Semana Santa Programm (wo gibt es das sonst in deutscher Sprache?) mit Kurzbewertung der einzelnen Prozessionen, historischen Daten zu allen Bruderschaften und vielen Tipps für Standorte zum Erleben besonders spektakulärer Momente
  • eine Stadtgeschichte in Tabellenform
  • eine Kurzbewertung der 100 wichtigsten Monumente Sevillas sowie gastronomische Tipps für jedes Stadtviertel.
"Sevilla – Stadt der Wunder" ist ein Kunstführer, der nicht zu wissenschaftlich ist, sondern lebendig, unterhaltsam und reichhaltig bebildert die "Wunder" der Hauptstadt Andalusiens einem breiten Publikum näher bringt.

Text: Sönke Schönauer

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