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[art_3] Dominikanische Republik: Liebe und Leben in der Straße der Damen

Es bedarf nur eines Funkens Phantasie um die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts herauf zu beschwören und María de Toledo, Gattin des Diego de Colón und damit erste Vizekönigin Neuspaniens, zusammen mit ihrem weiblichen Gefolge durch den kolonialen Kern Santo Domingos wandeln zu sehen:

Wie sie im Parque Colón den Bau der Kathedrale Santa María de la Menor begutachtet, die die Gebeine ihres Schwiegervaters Christopf Kolumbus beherbergen werden.



Wie sie mit Fray Bartolomé de las Casas, der im Convento de los Dominicanos, der ersten Universität in der Neuen Welt, Vorlesungen hält oder der Frage nachgeht, ob es sich bei den Indianern Hispañolas um Menschen oder Tiere handelt. Wie sie im Patio (Garten) des Schriftstellers Francisco Tostado de la Peña Schutz sucht vor der herab brennenden Mittagssonne.

Wie sie gestärkt durch heiße Schokolade an der Festungsanlage Ozama entlang spaziert, die sie in den nächsten Jahrzehnten vor Überfällen diverser Piraten, zu denen u.a. der gefürchtete Francis Drake und dessen Onkel Henry Morgan gehören werden, schützen wird; dort auf Nicolás de Ovando trifft, den Gründer des 3. Santo Domingos, der es besser machen sollte als Bartolomé de Colón, Bruder des Cristobal de Colón, dessen Versuch der 2. Gründung Santo Domingos auf der falschen Seite des Flusses Ozama durch mehrere Hurrikane vereitelt wurde - ebenso wie das 1. Santo Domingo, ursprünglich von Christoph Kolumbus an der Nordküste nahe Puerto Plata unter dem Namen Nueva Isabela, zu Ehren der spanischen Königin Isabella der Katholischen, erbaut, den Naturgewalten zum Opfer fiel.

Wie sie sich nun schon auf der Calle de las Damas bewegt, vorbei am Regierungssitz, wo sich der zukünftige Entdecker Mexikos, Hernán Cortéz, von Kuba kommend zu einer Audienz bei ihrem Mann eingefunden hat. Wie sie auf den Plaza de España trifft, das Meer von Verwaltungsbeamten, Hafenarbeitern und Matrosen respektvoll eine Schneise bildet, durch die sie ihren Palast erreicht, den Alcazar de Cólon.


500 Jahre später sind viele der Gebäude aus der Kolonialzeit erhalten oder rekonstruiert. Doch wie auch immer man den 1976 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten historischen Stadtkern erkundet - durchdacht oder planlos - gegen Nachmittag wird man auf geradezu magische Art und Weise von der Calle las Damas angezogen, die in den Plaza de España übergeht. Der einst geschäftige Trubel ist verschwunden. Eine handvoll Jungs spielt Baseball, ein Papa lässt mit seinen Kindern einen Drachen steigen, Schüler in Uniform albern auf dem Nachhauseweg herum und mehrere Hochzeitspaare nutzen die Kulisse für ein Fotoshooting.

Der Platz ist weitläufig und so angelegt, dass der 1512 von Diego erbaute freistehende Renaissance-Palast der Familie Kolumbus in seiner ganzen, wenn auch schlichten Pracht voll zur Geltung kommt. Der Hintergrund, lässt man die Eindrücke des Tages auf der Terrasse einer der Bars oder Restaurants mit Blick auf den Alcazar auf der gegenüberliegenden Seite sacken, ist frei von Gebäuden. Man kann sich also vollkommen auf den Palast und seine Hochzeitspaare einlassen und dabei über die besichtigten Einrichtungen der Spanier in der Neuen Welt diskutieren: erstes Bürgermeisteramt, erstes Krankenhaus, erste Universität, erste Kathedrale, erster Regierungssitz. Und nach der dritten Cuba Libre, die Sonne ist gerade im Untergehen begriffen, fällt der Blick doch noch auf ein Gebäude im Hintergrund des Palastes. Ein einziges, das plötzlich kegelförmig von innen heraus beleuchtet wird: der Faro de Colón, der Leuchtturm des Kolumbus. 1992 zur 500-Jahrfeier der Entdeckung Amerikas von den ersten Entdeckten - in keinem anderen lateinamerikanischen Land scheint so etwas denkbar - erbaut, beherbergt er aufgebahrt in einem riesigen Altarkonstrukt die Gebeine des Kolumbus, die zuvor in der Kathedrale ruhten.


Info:
Für eine Besichtigung des kolonialen Santo Domingos sollte man eher zwei als einen Tag einplanen. So besteht die Möglichkeit, den Alcazar, das Haus Tostado und das Museo de las Casas Reales sowie einige beeindruckende Innenhöfe zu besichtigen. Zudem wäre es eine Schande, einen in den Abend übergehenden Nachmittag auf der Plaza de España abbrechen zu müssen. Restaurants finden sich mühelos, auch in den Seitenstraßen. Kriminalität gegen Touristen scheint unbekannt. Alternativ zu den recht teuren Angeboten der Restaurants bietet unweit der Plaza de España die Taquería (Av. Emiliano Telera) günstige und leckere Tacos. Die Cuba Libre ist stark und die billigste des gesamten Landes.

Text + Fotos: Dirk Klaiber