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[art_2] Mexiko: Gefangene im Nationalpark Tierra Colorado
 
Das Land der Bauern von Tierra Colorado wurde zum Nationalpark erklärt - nun gelten die Indianer als illegale Siedler, die keine Rechte haben.

Alonso Velasco Guzman schöpft Wasser aus der Regentonne und setzt sich zu seiner Frau Antonia und drei seiner neun Kinder an das Herdfeuer, über dem ein verbeulter Topf mit Kaffee köchelt. Die kleine Hütte ist aus einfachen Brettern roh zusammen gezimmert und wird nur vom Schein des Feuers erleuchtet. Fenster hat sie keine. Wer nach Tierra Colorada kommt, kann kaum glauben, dass er sich im Schwellenland Mexiko, keine 20 Kilometer Luftlinie von der Millionenmetropole Tuxtla Gutierrez befindet.  Selbst in abgelegenen Orten sind die Häuser in Mexiko heutzutage  aus Ziegeln gemauert und an die öffentliche Versorgung angeschlossen. Doch an Tierra Colorada ist die sonst überall spürbare Entwicklung des Landes unbemerkt vorbei gegangen.

1980 wurde das Gebiet rund um den Canyon Sumidero zum Nationalpark erklärt. Die Schlucht des Sumidero ist an manchen Stellen über 1.000 Meter tief und nicht nur eine bedeutende Touristenattraktion, sondern auch Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten. Doch bei der Einrichtung des Schutzgebietes wurde übersehen, dass in der Nähe des Canyons Menschen leben. Es sind 42 Kaffeebauern mit ihren Familien, alles in allem rund 340 Personen.

Die Nationalparkverwaltung möchte die Bauern loswerden. Niemand, so heißt es in der Argumentation, dürfe im Nationalpark wohnen, das sei gesetzlich so geregelt. Dabei sind die Bauern eigentlich kein Störfaktur in dem Naturschutzgebiet. "Wir bauen ausschließlich Biokaffee an und verzichten auf jeglichen chemischen Dünger und Pestizide", erläutert Alonso Velasco Guzman. Und es ist ihnen schon durch ihre Kooperative verboten, Bäume zu fällen - wer das macht, fliegt bei San Fernando sofort raus. Außerdem haben sie sich verpflichtet, ihre Pflanzungen nicht weiter auszudehnen. Und die Bauern leisten sogar einen Beitrag zum Umweltschutz. Die Felder der Kleinbauern sind alles andere als Monokulturen - sie sind von dem eigentlichen Wald auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden. "Wir achten bei unseren Pflanzungen ganz besonders auf die Artenvielfalt. Deswegen haben wir fünf verschiedene Sorten Schattenbäume gepflanzt und wir lassen das Unterholz stehen." Vier verschiedene Vogelarten bauen auf den Kaffeefeldern ihre Nester, sie bieten diversen Schlangenarten ein Zuhause und nachts streichen sogar wilde Bergkatzen an den Kaffeebüschen entlang.

Eigentlich müsste sich ein Kompromiss finden lassen. Doch die Fronten zwischen Parkverwaltung und Bauern sind verhärtet. Immer wieder wird angedroht, das Dorf werde gewaltsam geräumt. Noch ist es dazu nicht gekommen, aber der Druck auf die Bauern nimmt zu. Man versucht, sie auszuhungern. "Wer versucht, Mörtel oder Ziegelsteine in das Dorf zu bringen, wird am Eingang zum Nationalpark aufgehalten", erklärt Alonso Velasco Guzman. "Deshalb können wir unsere Hütten nicht zu richtigen Häusern ausbauen."

Das Dorf ist fast vollständig von der öffentlichen Versorgung abgeschnitten. Zwischen den Hütten stehen zwar noch ein paar Straßenlampen, doch die Verbindung zum Stromnetz wurde schon vor Jahren gekappt. Wenn die Sonne untergeht, dann wird Tierra Colorada nur durch Kerzen und Öllampen erleuchtet. Noch gravierender ist das Problem der Wasserversorgung. Das Dorf hat weder einen Anschluss an die öffentlichen Wasserleitungen noch einen Brunnen. "Wir fangen jeden Tropfen Regenwasser auf, sammeln das Wasser in großen Behältern und gehen so sparsam damit um, wie irgend möglich. Aber in der Trockenzeit kommt trotzdem jedes Mal der Punkt, an dem wir kein Wasser mehr haben", erzählt Antonia. Es gibt nicht einmal einen kleinen Dorfladen - Lebensmittel, die über den persönlichen Bedarf einer Familie hinausgehen, werden konfisziert. Ärzte, die nach Tierra Colorada wollen, werden von der Parkverwaltung zurück geschickt. Lediglich ein Grundschullehrer darf passieren.

Je beliebter und bekannter der Nationalpark bei in- und ausländischen Touristen wird, desto heftiger werden die Einschüchterungsversuche durch die Parkverwaltung. Die Situation der Menschen in Tierra Colorado wird von Jahr zu Jahr schwieriger. So kann es nicht mehr lange weiter gehen, dass ist Alonso Velasco Guzman klar. Hüter des Nationalparks zu werden, das wäre für ihn und seine Nachbarn die ideale Lösung  "Das Dorf ist unsere Heimat, hier sind wir geboren worden und hier möchten wir auch bleiben", meint er. "Aber noch wichtiger ist es mir, in Ruhe und Frieden leben zu können, ohne Schikanen und ohne die Angst, dass wir eines Tages doch geräumt werden." Deshalb wären der 49jährige und seine Genossen bereit, umzuziehen - wenn ihnen eine Alternative geboten würde. "Wir brauchen gutes, fruchtbares Land, auf dem wir unseren Kaffee anbauen können, eine Anbindung an die Strom- und Wasserversorgung und eine wie auch immer geartete Starthilfe um Häuser bauen zu können. Wenn wir das bekämen, dann würden wir schweren Herzens unsere Heimat aufgeben." Ohne ein solches Abkommen aber werden sie ihr Land nicht kampflos verlassen - wo und von was sollten sie dann auch leben?

Doch bislang sieht es nicht so aus, als wäre die Parkverwaltung zu einer Entschädigung bereit. Die Bauern seine illegale Siedler, heißt es, sie hätten das Land nie legal erworben. "Aber hier sind doch die Papiere, notariell beglaubigt", ruft Alonso Velasco Guzman verzweifelt und wedelt mit einem Stapel Papier, unterschieben von seinen Eltern und den vorherigen Besitzern. Doch die Generation seiner Eltern konnte kaum Lesen und Schreiben, sie sprachen  nicht einmal richtig Spanisch. Als sie 1969 das Land kauften, wussten sie nicht, dass sie vor dem Gesetz Grundbesitz nur dann wirksam erwerben, wenn der Titel im Grundbuch eingetragen wird. Und weil diese Formalie damals nicht erfüllt wurde, spricht die Parkverwaltung den Bauern heute jegliche Rechte ab.

Das einzige, was die Bauern schützt, ist ihre Zugehörigkeit zur Kooperative San Fernando. Die Organisation hat rund 1.000 Mitglieder und wenn sich die Direktion öffentlich äußert, hat das ein gewisses Gewicht. Über die Kooperative konnte ein Anwalt eingeschaltet und nachgewiesen werden, dass die Bauern selbst gesetzte strenge Umweltauflagen einhalten. San Fernando bemüht sich aktuell außerdem darum, dass die Bauern für die unbebauten Waldflächen von internationalen Geldgebern Ausgleichszahlungen erhalten - schließlich leisten sie, indem sie den Wald erhalten, einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.

Vor allem aber sichert die Zusammenarbeit mit dem Fairen Handel den Bauern das Überleben. Mit seinen drei Hektar Kaffee schafft es Alonso Velasco Guzman, seine insgesamt 15köpfige Familie durchzubringen. Möglich ist das nur, weil er seinen Kaffee an Fairhandelshäuser wie die Gepa verkauft. Mit dem, was er normalerweise von den Aufkäufern bekommen würde, wäre das nicht machbar. Denn dann würde sein Verdienst nur bei rund drei US Dollar pro Tag liegen. Dank des Fairen Handels verfügt die Familie über mehr als 7 US Dollar pro Tag. Das sind auch in Mexiko keine Reichtümer, aber bei der eisernen Sparsamkeit, die Antonia und Alonso an den Tag legen, reicht es sogar, um die älteren Kinder in der Stadt zur Oberschule zu schicken. "Ich hoffe, dass es meinen Kindern gelingt, richtige Berufe zu erlernen. Dann werden sie nicht in ständiger Angst vor Vertreibung hier ausharren müssen, sondern könnten in Frieden leben."

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

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