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[kol_4] Pancho: Levantón Andino zwischen Magie und Potenz

Ein Hauch von magischem Fusel lag in der Luft. Ein Mann des Feldes hatte einige Scheite spärliches Holz und ein paar Zamuro-Samen vor sich ausgebreitet, die er so halb offensichtlich zum Verkauf anbot. Er drückte mir ein Samenkorn in der Größe eines abgeflachten Tischtennisballs in die Hand und ermahnte mich, Stille zu bewahren, um den Übergang der Kraft des Samens in unsere Körper nicht zu stören. Ihn selbst kostete es sichtlich Mühe sich zu artikulieren, denn der wenig magische Cocuy, auch andines Pennerglück genannt, hatte bereits von seinem Körper Besitz ergriffen.



Zurück in meinem Zimmer, das sich in Mérida in den venezolanischen Anden auf einer Höhe von 1600 Metern befindet, rüste ich mich zur Siesta. Ich schlage die Decke zurück und erstarre vor Schreck. Vor mir liegt eine Korallenschlange, die so gar nicht begeistert zu sein scheint, von mir belästigt zu werden. Dem Tod direkt ins Auge blickend, verspüre ich eine mir unbekannte Kraft aufsteigen, mir telekinetische Kräfte verleihend. Durch bloße Konzentration bewege ich den Wecker Stück für Stück in Richtung Reptil. Dieses, anscheinend nur auf den Moment gewartet, stürzt sich mit aufgerissenem Maul, die Giftzähne in Position gebracht, auf das bedrohliche Objekt. Ich packe die Schlange, direkt hinter dem Kopf, und breche ihr das Genick.

Da waren meine Träume zur Mittagszeit wohl ein wenig durcheinander geraten. Mein erster Gedanke galt den schwarzen Bohnen, die mich schon ein ums andere mal um den Schlaf gebracht hatten. Dann aber dämmerte es mir und Stieraugen gepaart mit Wachtel- und Welseiern vermischten sich in meinem Magen. Wieder bei Sinnen schwor ich, mich nie wieder blauäugig an Afrodisierendem zu laben.

In Mérida findet man eines dieser potenzsteigernden Wunder, das im Mixer mit ein wenig Eis zubereitet wird und den Namen trägt: Levantón Andino, Andiner Hilft-Toten-auf-die-Beine.

Zubereitung:
Man nehme alle verfügbaren Früchte, teilweise geschält und in Stücke geschnitten. In unserem Fall: Erdbeeren, Brombeeren, Papaya und Honigmelone. Dazu gibt man Milchpulver und echte Milch, Babynahrung auf Weizenbasis, Miche andino (Anisschnaps), die Rinde des Chuchoguaza-Strauches und ein paar Tropfen eines Vitaminpunchs, dessen Zusammensetzung streng geheim ist. Auf der Tafel heißt es zudem Bier - speziell die heute nicht mehr übliche Darreichungsform der 0,66 Liter Flasche, bekannt als perra calienta, als heiße Hündin - , Wein, Rum, mehr Schnaps und Überraschungen.

Mit dem Schnaps wird sehr gespart, so dass man nicht von einem wirklich alkoholhaltigen Drink sprechen kann. Und zum Schluss das Wichtigste, das, was mich im nachhinein, als ich die Zusammensetzung ergründete, den Mageninhalt kostete: Fischeier vom Wels, ein rohes Hühnerei, drei rohe Wachteleier und der Inhalt zweier Stieraugen.

Geschmacklich dominieren die Früchte. Mein Levantón hatte eindeutig den unschuldigen Sabor nach Brombeere und ein wenig Erdbeere. Als abschließendes Urteil: Nur die Harten träumen gut.

Text + Fotos: Dirk Klaiber


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