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[art_2] Brasilien: Churrasco mit Klinsi
Ein Schwabe in Brasilien
 
Ist er das? Eine schlanke Gestalt huscht wild zwischen den Spielern der US-amerikanischen Fußballnationalmannschaft hin und her. Gekleidet ist er wie die Spieler, nur das weiße Käppi weist darauf hin, dass jene jugendlich anmutende Gestalt kein normaler Spieler ist. Und die laut auf Englisch mit schwäbischem Akzent gebrüllten Anweisungen entlarven ihn. Da ist er, der Held meiner Jugend, der ehemalige Blondschopf von den Stuttgarter Kickers, der Tonnentreter von Bayern München, der Trappatoni  damals nahe legte, k....en zu gehen.

Klinsi is in town. Als erste Nationalmannschaft überhaupt sind die US-Boys nach Brasilien gekommen, um ihr Trainingszentrum für die WM 2014 zu testen. Beim FC São Paulo hat man Quartier bezogen, jetzt trainiert man für zwei Wochen in der Megastadt.

Jürgen Klinsmann, der Bäckerssohn und ehemalige Diver von Tottenham ist in aller Munde. Brasiliens Presse berichtet breit und ausführlich über das Team, das "den Menschen in São Paulo sofort ans Herz gewachsen" sei und für das man "bei der WM die Daumen drücken" wolle, wie ein Repräsentant des brasilianischen Klubs später beim gemeinsamen Grillen verkündet.

Doch bevor es zu dem üppigen Fleischverdrücken kommt, müssen wir noch eine Stunde auf Klinsmann warten. Der dreht nämlich nach dem 90-minütigen Training erst noch seine Joggingrunden rund um den Platz, während die Sportpresse schon mal ein frisch gezapftes Bierchen genießt. Coca Cola gibt es nicht, weil "Klinsmann ein erklärter Gegner des dick machenden Gebräus sei", wie der Pressesprecher der US-Boys erklärt. "Wenn er hier jemanden beim Colatrinken erwischt, muss der sich auf eine gehörige Predigt einstellen."

Endlich kommt Klinsi, frisch geduscht, begrüßt die Wartenden mit einer gut gelaunten Ansprache. Von der "Todesgruppe der Amerikaner" spricht er, besonders der erste Gegner Ghana mache ihm Sorgen. "Die haben uns bei den letzten beiden WMs rausgekegelt, da haben wir also noch eine Rechnung offen." Danach, so Klinsi, kämen dann die beiden leichteren Gegner. Deutschland und Portugal. Er lacht nur. Sonnyboy konnte er schon immer, der ewige Optimist. Man wolle halt bald zu den "15 oder 10 besten Teams der Welt" gehören, da sei es gut, stets gegen die ganz Großen zu spielen.

Wenig später steht er am Grill und bestaunt die Fleischberge, die die fleißigen Helfer des FC São Paulo über die Grillkohle gehängt haben. Im "Barbecue" seien die Brasilianer ja bereits Weltmeister, auch wenn die Amerikaner ihnen da dicht auf den Fersen seien, scherzt er. "Keiner geht, bevor das hier nicht komplett verdrückt ist." Er zeigt auf das komplette Schwein, das zum Nachtisch gegrillt wird. Anschließend entschwindet er, um sich auf den folgenden Interview-Marathon vorzubereiten.

Wenig später erscheint er dann in den Katakomben des Pressepavillons, "20 Minuten hab ich." Während Licht und Ton gerichtet werden, erinnert Klinsi sich an seinen alten blauen Käfer, mit dem er einst durch Mailand düste und den er verschrotten musste, nachdem er dreimal mit ihm von London nach Stuttgart gebraust sei. Als Vater habe er was falsch gemacht, berichtet er noch, sei der Sohn doch Torwart und die Tochter Abwehrspielerin geworden. Und das bei derartigen Stürmergenen, die er ihnen mitgegeben habe....

Dann steht er Rede und Antwort, die üblichen Fragen nach der Bäckerei der Familie ("die betreibt mein Bruder"), dem Favoriten auf den WM-Sieg ("ich drücke Deutschland die Daumen, die haben es jetzt mal verdient") und ob er denn mal Trainer in Brasilien werden wolle ("da macht die Familie ja nicht mit"). Dann muss er weiter, das nächste Interview wartet.

Schnell noch ein Erinnerungsfoto ("sowas findet man in den USA total unprofessionell", grummelt sein Pressemann im Hintergrund) und ein Autogramm für die Nichte ("kein ernsthafter Journalist in den USA würde um so etwas bitten", flüstert es von der Seite), dann muss er los.

Leicht und locker hüpft er die Treppen runter. Fast 50 und immer noch voll jugendlichem Elan. Der Mann wird es auch als Trainer noch weit bringen.

Text + Fotos: Thomas Milz

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