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[art_3] Bolivien: Chagas – der Biss der Vinchuca und seine Folgen
 
Fiese, Blut saugende Quälgeister gibt es eine ganze Menge – und nicht wenige von ihnen übertragen Krankheiten, die mitunter sehr schwer verlaufen wie zum Beispiel Malaria oder die von Zecken übertragene Meningitis. Ganz besonders gemein sind aber die Krankheiten, die erst einmal jahrelang schlummern bevor sie dann überraschend ausbrechen – wie zum Beispiel die in Bolivien vorkommende Chagas-Krankheit.

Der Feind kommt nachts und ist bis zu vier Zentimeter groß: Die Vinchuca-Raubwanze. Sie lässt sich in den Hütten im Tiefland Südamerikas aus dem Strohdach in die Betten ihrer Opfer fallen um Blut zu saugen. Und ihr Biss kann richtig gefährlich werden.

"Während die Vinchuca Blut saugt, setzt sie auch Kot ab. Ihr Kot enthält den Parasiten, der die Chagas-Krankheit überträgt. Wenn sich die Menschen dann kratzen, weil der Biss juckt, reiben sie den Kot in die kleine Wunde ein. So gelangt der Parasit ins Blut", erklärt Angelica Guzman vom Tropeninstitut in Santa Cruz, Bolivien. Davon, dass sie mit Chagas infiziert wurden, merken die Menschen lange nichts – die Symptome sind unspezifisch: Fieber und allgemeines Unwohlsein, das nach einiger Zeit aber vorüber geht. Doch Chagas ist heimtückisch. "Die Krankheit zeigt sich erst 20 oder 30 Jahre nachdem der Patient infiziert wurde. Dann greift sie plötzlich das Herz oder das Verdauungssystem an", so Guzman weiter. In etwa 30 Prozent aller Fälle verursacht Chagas eine Muskelschwäche, die den Darm lähmt oder zu einer chronischen Herzmuskelentzündung führt. Beides kann tödlich sein.

Und die Krankheit kann auch von der Mutter auf ihr Kind übertragen werden – bereits im Mutterleib oder nach der Geburt über die Muttermilch. Deshalb werden Schwangere in Bolivien inzwischen routinemäßig auf Chagas untersucht. Marilin Cruz Vargas war völlig überrascht, als der Parasit in ihrem Körper entdeckt wurde: "Ich vermute, dass ich infiziert wurde, als ich als Kind meine Großmutter besuchte, die in einem Dorf auf dem Land lebt, oder dass meine Mutter mich angesteckt hat. Meine Tochter jedenfalls wurde mit Chagas geboren."

Wenn die Krankheit so früh entdeckt wird, kann man sie medikamentös behandeln – bei Marilins sechsjährige Tochter lassen sich heute keine Erreger mehr nachweisen. Doch hat sich der Erreger erst einmal jahrelang im Körper eingenistet, wird man ihn nicht mehr los. Marilin Cruz Vargas lässt sich deswegen regelmäßig durchchecken und bislang ist zum Glück soweit alles ok: "Die Kontrollen zeigen, dass mein Darm in Ordnung ist und meine Kardiogramme sind auch gut. Ich bin eine Patientin, der Chagas bis jetzt noch nichts anhaben konnte."

Doch die Gefahr, dass die Krankheit irgendwann zuschlägt, bleibt. Das Einzige, was Marilin Cruz Vargas vorbeugend tun kann, ist sich gesund zu ernähren und Sport zu treiben, um den Verdauungstrakt nicht zusätzlich zu belasten und ihr Herz zu stärken.

Chagas kommt in allen Ländern Lateinamerikas vor, doch am weitesten ist die Krankheit in Bolivien verbreitet. Bei den routinemäßigen Tests an Schwangeren waren 40 Prozent aller im tropischen Tiefland lebenden werdenden Mütter positiv. Seit einigen Jahren gibt es deshalb in den besonders betroffenen Gebieten Boliviens ein Anti-Chagas-Programm.

"Das Programm versucht, die Verbreitung der Wanze in den Griff zu kriegen. Berater gehen in die Hütten und erklären den Menschen, wie sie die Wanze loswerden können – zum Beispiel, indem sie Strohdächer durch Wellblech ersetzen und die Hütten regelmäßig gründlich reinigen", erläutert Angelica Guzman.

Doch Chagas ist eine Krankheit der Armen – es ist kein Zufall, dass sie am häufigsten in Bolivien anzutreffen ist, dem ärmsten Land Lateinamerikas. Hier können sich viele Menschen keine festen Häuser leisten. Auch für Wellblechdächer fehlt ihnen meistens das Geld – und die stattdessen über den Betten aufgehängten Mülltüten versprechen keinen besonders guten Schutz vor der Raubwanze. Und so wird Chagas unter den Armen Südamerikas wohl weiterhin eine weit verbreitete Krankheit bleiben.

Text: Katharina Nickoleit

Tipp: Katharina Nickoleit hat einen Reiseführer über Bolivien verfasst, den Ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
252 Seiten
ISBN 978-3-89662-362-1
Verlag: Reise Know-How
3. Auflage 2012

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