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[art_1] Spanien: Tanz der Engel – die Kirchen von Antequera
 
Antequera im andalusischen Bergland der Provinz Malaga gehört zu den monumentalsten Kleinstädten Europas. Für mich war – neben dem arabischen Burgberg und dem romantischen "Felsen der Verliebten" – besonders ein Versprechen verlockend: "Antequera ist die Stadt in Spanien mit den meisten Kirchen pro Einwohner." So wird es in vielen Kunstführern und Touristenbroschüren angepriesen. Die Einwohnerzahl liegt bei unter 40.000, die Zahl der Kirchen wird dabei meist mit 33 angegeben: eine für jedes Lebensjahr von Christus. Meine Erwartungen waren also hoch, während ich in einer schön heißen Septemberwoche 2010 den enorm steilen, Schweiß treibenden Hügel vom Bahnhof Richtung Ortszentrum empor stieg und dabei zwar kein Kreuz auf den Schultern trug, aber einen schweren Koffer hinter mir her zog.

Iglesia de San Agustín [zoom]
Convento de la Trinidad [zoom]

Auf dem Gipfel angekommen, stand ich vor der ersten Kirche, dem Convento de la Trinidad (Kloster der Dreifaltigkeit). Eine ansehnliche Barockkirche, aber leider geschlossen. Dasselbe Bild bot sich während der zwei Tage meiner klerikalen Entdeckungstour immer wieder: die meisten der Gotteshäuser von Antequera blieben abweisend, als hätten böse Hände sie für alle Ewigkeit versiegelt. Zugegeben, ich war nicht an einem Sonntag oder religiösen Feiertag in Antequera, sondern an einem Mittwoch und Donnerstag und es mag auch sein, dass einer der verschlossenen Tempel vielleicht zur Frühmesse um 6:30 Uhr für eine halbe Stunde geöffnet war. Doch solche Öffnungszeiten sind touristisch irrelevant.

So war die Iglesia de San Agustín, eine wuchtige Trutzburg, in deren Innenraum man wunderbare Gemälde des Renaissance-Malers Antonio Mohedano hätte bestaunen können und die angeblich laut einer Broschüre des Tourismus-Büros von 11 Uhr bis 13 Uhr hätte geöffnet sein sollen, natürlich auch so geschlossen wie die Stadtmauern von Ávila bei einem Feindesangriff. Die spätbarocke Iglesia Madre de Dios – verschlossen. Die Kirche Johannes des Täufers und das Kloster Virgen de los Remedios – geschlossen.

Virgen de los Remedios [zoom]
Iglesia de San Sebastián [zoom]

Ich war so enttäuscht, dass mir ernsthaft der Gedanke kam, sofort zurück nach Sevilla zu fahren - dort gibt es mehr als 160 Kirchen und die meisten davon sind irgendwann auch mal zugänglich. Aber dann kam ich zum Mittelpunkt von Antequera, der Plaza de San Sebastián, und stand plötzlich vor einer Kirche, die auch Kathedrale hätte sein können und es war kaum zu glauben, aber ihre Pforten waren weit offen! Und zur Ehrenrettung der Stadt sei schon mal gesagt, dass immerhin die drei wichtigsten Kirchen von Antequera großzügige Öffnungszeiten haben und allein dafür lohnt sich schon der Weg.

Iglesia de San Sebastián [zoom]
Iglesia de San Sebastián [zoom]

Die Iglesia de San Sebastián ist die erste. Aber ich zögerte noch, hinein zu gehen, denn die pompöse Frontfassade aus der Renaissance mit ihren plateresken Reliefs gehört zu den schönsten Kirchenportalen Andalusiens und will ausgiebig betrachtet werden. Rechts und links über dem kaiserlichen Doppeladler-Wappen Karls V. liegen Adam und Eva in paradiesischem Schlaf. Besonders ins Auge fällt die Darstellung der sehr lässigen Eva, die nackt und mit wallendem Haar auf der Fassade ruht, den Kopf auf den rechten Arm gebettet, während sie in der linken Hand verlockend und doch etwas versteckt den Apfel hält. Großes Kino auf der Kirchenmauer. Darunter zwischen Petrus und Paulus der Namenspatron der Kirche, der gefesselte heilige Sebastian.

Der barocke Glockenturm links ist wohl einer der schönsten von ganz Spanien, man kann es erahnen, aber er ist – auch hier verfolgt mich das Pech – in der oberen Hälfte eingerüstet. Daher bleibt die elegante Turmspitze mit dem Wahrzeichen der Stadt, einer sich im Wind drehenden Engelsstatue, verborgen.

Nachdem die Fassade genug bestaunt ist, wende ich mich dem Innenraum zu, der aber im Vergleich zum prachtvollen Äußeren nicht mithalten kann. Das liegt auch an einem Brand, der im Jahr 1960 den größten Teil der Originalausstattung vernichtet hat. So wurde Vieles mit geschmacklosem Neobarock "aufgefüllt".

Iglesia de San Sebastián [zoom]
Convento de las Carmelitas Descalzas [zoom]

Anschließend führte mich der Weg vorbei am Konvent der Unbeschuhten Karmeliterinnen (Carmelitas Descalzas), in dem sich auch ein kleines Museum neben der Kirche befindet. Von der Fassade grüßen exquisite Monster. Doch ich hatte es eilig und würdigte sie nur einiger Seitenblicke, denn ich strebte ungeduldig dem unbestrittenen Höhepunkt der klerikalen Schönheit Antequeras zu: der hochbarocken Iglesia del Carmen.

Von außen wirkt dieser Tempel völlig unscheinbar, für eine Barockkirche erschreckend schlicht und man glaubt kaum, dass sich dahinter etwas Grandioses verbirgt. Doch sobald man eintritt, stürzt von allen Seiten eine von Engeln überquellende Pracht wie ein Schwindel erregendes Kunst-Karussell auf den Zuschauer ein. Dies ist eine der schönsten Kirchen nicht nur Spaniens, sondern der ganzen Christenheit.

Iglesia del Carmen [zoom]
Iglesia del Carmen [zoom]

Iglesia del Carmen [zoom]
Iglesia del Carmen [zoom]

Nach oben hin wölbt sich ein Sternenhimmel aus Holz, im 16. Jahrhundert im arabisch beeinflussten Mudéjarstil erschaffen. Im barocken Universum dieses Kirchenwunders gibt es kaum einen Zentimeter ohne Dekoration. Im Hauptschiff hängt links und rechts unter dem Sternenhimmel ein schöner, dem Leben des Erlösers gewidmeter Gemäldezyklus des größten Künstlers von Antequera, Antonio Mohedano (1563 - 1626). Und überall tummeln sich Engel in den Hochaltären. Strahlende, musizierende und sogar tanzende Engel. Einige scheinen fast übermütig aus dem riesigen Altargebirge des 1747 vollendeten Hauptretabels zu springen. Antonio Primo und José de Medina schufen diese gigantische Bühne für goldene Engel und Heilige. Vor drei Jahren wurde die Iglesia del Carmen anlässlich der Ausstellung "Andalucía Barroca" aufwändig restauriert und zeigt sich jetzt in Hochglanz.

Iglesia del Carmen [zoom]
Iglesia del Carmen [zoom]

Iglesia del Carmen [zoom]
Iglesia del Carmen [zoom]

Krönender Abschluss des kirchturmhohen Hauptaltars ist ein tanzender Erzengel Michael beim Triumph über den Satan. Zwar schwingt der Erzengel Schild und Flammenschwert, aber er trägt auch ein geblümtes Röckchen, so dass er kaum Angst einflößend wirkt. Ich aber war besonders angetan von einer entzückend traurigen Maria Magdalena, die etwas versteckt in einer Seitenkapelle auf der rechten Seite in ihr Taschentuch weint. In meiner Meditation ließ ich mich auch nicht stören von einem Trupp wackerer Putzfrauen, die sich mit Hingabe und sehr geräuschvoll dem Fußboden der Karmeliterkirche zuwandten, während ich in den hölzernen Himmel und die obersten Altaretagen starrte. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich in diesem Raum zugebracht habe und es fiel schwer, sich von diesem theatralischen Prunk loszureißen.

Iglesia del Carmen [zoom]
Erzengel Michael [zoom]

Aber es wartete ja hoch oben auf dem Berg noch die dritte der wichtigsten Kirchenattraktionen von Antequera: Santa María Coronada, die Kirche der gekrönten Gottesmutter, war meine letzte Station. Sie thront auf dem Burgberg der Alcazaba hoch über dem Stadtpanorama und ist eigentlich "außer Betrieb". Gottesdienste finden hier nicht mehr statt, aber Konzerte und Kunstausstellungen. Auch dieser Tempel, der erste sakrale Renaissancebau in Andalusien, hat fast die Größe einer Kathedrale und demonstriert wie viele andere Hauptkirchen in andalusischen Dörfern und Kleinstädten den Reichtum, der im 16. Jahrhundert nach der Entdeckung Amerikas und Ausbeutung der spanischen Kolonien in Peru und Mexiko auch in entlegene Regionen gelangte. Die monumentale Fassade ist zwar deutlich schlichter als die von San Sebastián, aber die gesamte Außen- und Innenraumgestaltung präsentiert sich elegant und repräsentativ. Nicht umsonst war die Frontfassade ein Vorbild, das Alonso Cano zum Entwurf des Hauptportals der Kathedrale von Granada inspirierte.

Santa María Coronada [zoom]
Santa María Coronada [zoom]

Das Innere von Santa María Coronada wurde nicht barockisiert, sondern beeindruckt im reinsten Renaissance-Stil Andalusiens – mit Ausnahme des hölzernen Dachstuhls in Mudéjar-Mustern. Die steinernen Deckengewölbe über dem Chor und den Seitenkapellen glänzen mit filigran gestalteter Dekoration. Blumen, Zapfen und Kugeln hängen neben originellen Fächergewölben. Einige der wunderbaren Kunstwerke, auf die man hier trifft, sind nur zu Besuch, solange das Stadtmuseum von Antequera noch wegen Restaurierung geschlossen ist: ein ergreifender, in mystischer Meditation versunkener heiliger Franziskus des genialen Bildhauers Pedro de Mena und Gemälde von Antonio Mohedano.

Iglesia del Carmen [zoom]
Santa María Coronada [zoom]

Dieser Maler der Spätrenaissance gehört neben dem Dichter Pedro Espinosa (ebenfalls 16. Jahrhundert) und der Flamenco-Sängerin La Nina de Antequera zu den Berühmtheiten, die dieses Städtchen hervor gebracht hat. Bezaubernd sein Bild eines schlafenden Jesuskindes, das von Maria zugedeckt wird, wobei daneben ein Engel den Finger auf den Mund legt und Pssst! flüstert. Als Angst einflößendes Kontrastprogramm lauert gleich neben dem Eingang der Kirche die bombastische Darstellung einer sogenannten "Tarasca". Dieses barocke Monster, ein seltsames Zwitterwesen, halb Dame, halb Drache, eröffnete im 18. Jahrundert die Fronleichnamsprozession in Andalusien. Dabei stehen die sieben Köpfe des Drachen für die sieben Todsünden und die Frauengestalt für den Triumph des Glaubens. Ich hatte soviel Angst vor den Zähne fletschenden Drachenköpfen, dass meine Hände beim Fotografieren zitterten und die Aufnahmen unscharf wurden.

Santa María Coronada [zoom]
Santa María Coronada [zoom]

Also lassen wir die Drachen der Apokalypse hinter uns und treten hinaus ins helle Sonnenlicht des sonnigen Septembertages. Heute Nacht träumen wir nicht von Monstern oder Höllenfeuer, sondern von den tanzenden Engeln der Iglesia del Carmen.

Text + Foto: Berthold Volberg


Sehenswertes:

Anfahrt mit dem Zug nach Antequera
Von Málaga (Fahrt dauert ca. 30 Minuten)
Von Sevilla (knapp 2 Stunden)
Von Madrid (mit dem AVE, 3 Stunden)

Monumente
Alcazaba von Antequera:
Öffnungszeiten: Di.-Fr. 10.30-14.00 und 16.00-18.00, Sa. + So. 11.30-14.00,
Eintritt Frei (Mo. geschlossen)

Dólmenes (Grabtempel)
Öffnungszeiten: Di.-Sa. 9.30-18.00, So. 9.30-14.30, Mo. geschlossen
Eintritt Frei

Museo Municipal
Öffnungszeiten: (z.Z. wg. Restaurierung geschlossen)

Ausflug in den Naturpark "El Torcal"
Ein Taxi (außer Leihwagen oder Fahrrad die einzige Möglichkeit) zur spektakulären Berglandschaft des Naturparks "El Torcal" (ca. 20 Kilometer gen Süden) kostet 40,- € und man startet am besten von der Stierkampfarena an der Puerta de Estepa aus.


Empfehlungen:

Hostal Colón
C. Infante Don Fernando 29-31, Tel. ++34-952840010
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Plaza San Sebastián 4; Tel. ++34-952844239
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Restaurante La Giralda
C. Mesones 8-10, Tel ++34-952845860
Email: lagiralda@conexanet.com
www.conexanet.com/lagiralda
Geöffnet 12 Uhr-16 Uhr und 20 Uhr-23.30 Uhr, montags geschlossen
Schönes Restaurant mit sehr netter Bedienung
Spezialitäten: Lammfleisch, rotes Fleisch vom Grill und Wild; Crepes und "Delicatessens" (köstliche kleine Überraschungen); gute Weinkarte

Meson Juan Manuel
C. San Agustin 1, Tel. ++34- 952843484,
geöffnet 13 Uhr-17 Uhr und 20 Uhr-24 Uhr,
Rustikales Ambiente, mittags ein leckeres und großzügiges Tagesmenü,
Spezialiäten: Geflügel, "Porra Antequerana" (die hiesige Version des "Salmorejo", eine Art cremiges "de luxe Gazpacho"), Fleisch vom Grill

El Angelote
C. Encarnación"/ Ecke "Coso Viejo", Tel. ++34-952703465
Edles Restaurant der gehobenen Preisklasse, untergebracht in altem Palast,
breit gefächerte Spezialitätenangebot und Weinkarte

Cafetería La Mandrágora
Plaza Las Descalzas 1, Tel. ++34-952845743
Email: elpadrinodemenga@hotmail.com
Eine Tapas-Bar / Cafetería für vorwiegend junges, teils alternatives Publikum, mit leckeren + sehr preisgünstigen Tapas + Kuchen + Crepes und mit sehr geschmackvoller Musik-Berieselung (Flamenco, Jazz, Blues).

Quellen:

"El Angelote”- Periodico turistico de Antequera, Nr. 4 (2010)
"Comarca de Antequera – más cerca de tí" (Guía de profesionales 2010)

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