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[art_4] Spanien: Teneriffas Tolle Tage

Wie und wann der Karneval entstand, darüber streiten sich die Fachleute und verweisen darauf, dass seine Wurzeln bis in die Zeit der Römer und Germanen zurückreichen und versuchen seinen Ursprung anhand der typischen Begriffe und Rituale zu lokalisieren.

Das spanische Wort für Verkleidung beispielsweise, "disfraz", leitet sich vom Verb "frezar" ab, das vom katalanischen Wort "fressar" herkommt und im Bereich der Tierwelt "eine Spur hinterlassen" bedeutet, beispielsweise dann, wenn ein Schwein sich suhlt.


Die Vorsilbe "Dis" hingegen verkehrt die Bedeutung in ihr Gegenteil, meint also "eine Spur verwischen". Tatsächlich wurde das Wort "disfraz" im 19. Jahrhundert erstmals in Katalonien im Zusammenhang mit  Karnevalkostümen verwendet.

Den Namen und das Ritual des Karnevals leiten Sprachforscher und Historiker vom Theater ab. Sie verstehen dabei das Schauspiel als eine Zeremonie ohne religiösen Hintergrund. Aber wenn das alte Jahr entlassen und das neue begrüßt wurde, nahmen Schauspieler die Rolle der Götter ein. Es verwundert daher nicht, dass das lateinische Wort "Persona" damals nicht nur Person, sondern auch Maske bedeutete.

So gab es im antiken Rom den Brauch der "Saturnalen", bei dem die Soldaten den schönsten unter ihnen für die nächsten 30 Tage zum König bestimmten und ihn mit unbegrenzter Macht ausstatteten.


Am letzten Tag wurde der König dann als Menschenopfer für den Gott Saturn dargebracht, den er personifizierte. Vergleichbare Rituale existierten auf Kreta und im antiken Griechenland. Heute leben sie in der Wahl der Karnevalskönige und Prinzen fort. Auch verschiedene Begriffe verweisen auf den Ursprung des Karnevals im Bereich des Theaters. Die Karnevalstänzerinnen auf Teneriffa zum Beispiel werden "Comparsa" genannt, ein Begriff der auf das Theater im Mittelalters zurückgeht.

Im Christentum läutet das Ende des Karnevals die Fastenzeit ein, worauf auch der deutsche Begriff "Fastnacht" hindeutet. Papst Gregor ernannte im frühen Mittelalter den Sonntag vor dem Beginn der Fastenzeit zum "Tag des sich erhebenden Fleisches", was im Lateinischen "Dominica ad carnes levandas", was zu "carne levamen" wurde, woraus sich schließlich "carnevale" ableitete.

Bereits im 11. Jahrhundert wurde auf der Theaterbühne der Kampf zwischen "Don Carnal", dem Herrn des Fleisches und" "Doña Cuaresma", der Symbolfigur der Fastenzeit, von Schauspielern dargestellt: Der  Widerstreit zwischen Genuss und erzwungenem Verzicht.

Eine andere Erklärung sieht den Ursprung des Wortes "Karneval" in dem lateinischen Begriff "Carrus navalis", was auf italienisch "carro navale" bedeutet. Im Deutschen stehen diese Wörter für "Seegefährt" und verweisen auf ein Schiff mit Rädern, das der Bestandteil bei römischen Frühlingsfesten, aber auch bei Festivitäten der Germanen und Kelten war. Bei diesen Geselligkeiten wurden promiskure Tänze aufgeführt und obszöne Lieder gesungen.

Mit der Eroberung Südamerikas gelangten die Karnevalsbräuche auch in die neue Welt. So wird heute unter anderem in Kolumbien, Mexiko und der Dominikanischen Republik ausgiebig Karneval gefeiert.

Und natürlich in Brasilien, wo der berühmteste Karneval der Welt stattfindet. Spielfilme wie "Orfeo Negro" wurden vor der faszinierenden Kulisse der tollen Tage von Rio de Janeiro gedreht.

Auch auf Teneriffa reicht die Karnevalstradition bis in die Zeit der spanischen Eroberer vor mehr als fünfhundert Jahren zurück, als in allen Ländern, die der spanischen Krone unterstanden, Karneval gefeiert wurde. Allerdings existieren kaum Aufzeichnungen aus der Zeit. Fest steht aber, dass es zur Zeit der Entdeckung Amerikas, als die sogenannten "katholischen Könige", Philipp II. und Isabella herrschten, Brauch war, sich an bestimmten Tagen zu verkleiden und Witze an öffentlichen Orten zu reißen. Nicht immer zur Freude der Herrschenden. Philipp II. untersagte das Maskieren und Verkleiden genauso wie Karl I., der 1523 ein entsprechendes Gesetz erließ. Erst Philipp IV. führte den Karneval wieder ein und im Jahre 1638 feierte sogar der gesamte Königshof.

Der katholischen Kirche war der Karneval oft ein Dorn im Auge, insbesondere dann, wenn sich Männer als Frauen verkleideten oder umgekehrt. So wurde auf Initiative des Klerus im Jahre 1927 in Santa Cruz eine Verordnung erlassen, die verbot, dass Männer während des Karnevals Frauenkleider trugen.

Allerdings wurde das Verbot bald wieder aufgehoben, wohingegen das Verbot mit Eiern zu werfen 21 Jahre zuvor dazu geführt hatte, dass sich die Benutzung  von Konfetti und Luftschlangen ausbreitete.


Das Ende der Zweiten Republik und der Ausbruch des von 1936 bis 1939 dauernden Bürgerkrieges setzten dem kollektiven Feiern ein Ende. In der Franco-Diktatur wurde der Karneval verboten. Allerdings wurde auf Teneriffa trotz des behördlichen Verbots heimlich weitergefeiert. In den sechziger Jahren wurde das Fest durch die Hintertür wieder eingeführt.

So wurde 1965 offiziell ein "Winterfest" angemeldet, das zwei Jahre später zum "Fest von nationalem touristischen Interesse" ernannt wurde. Der Aschermittwoch hieß kurz darauf "Tag des Touristen". Das Winterfest wurde nach dem Ende der Franco-Diktatur im Jahre 1976 dann wieder in "Karneval" umbenannt.  Interessanterweise deklarierte der spanische Staat vier Jahre später den Karneval zum "Fest von internationalem touristischen Interesse". Es gilt heute als weltweit zweitwichtigste Faschingsfeier  nach Rio de Janeiro.

Teneriffa 
Auf Teneriffa gibt es zwei große Umzüge: Den "Coso" in der Hauptstadt Santa Cruz; die "Cabalgata"  findet eine Woche später in Puerto de la Cruz statt. Dort marschiert übrigens auch das Karnevalsprinzenpaar aus Düsseldorf mit.

Während auf Gran Canaria die bedeutendsten Veranstaltungen in Las Palmas und im Touristenzentrum Maspalomas stattfinden, befinden sich die  Karnevalshochburgen Teneriffas in der Hauptstadt Santa Cruz und dem Touristenort Puerto de la Cruz. Obwohl auch in Orten wie La Orotava, Los Realejos und Icod de los Vinos Bühnen aufgebaut und Karnevalsköniginnen gewählt werden, bewegt sich der Karneval verglichen mit dem der Hauptstadt oder auch Puerto de la Cruz in wesentlich kleinerem Rahmen.

Die Vorbereitungen auf das große Fest starten bereits im Oktober, wenn die Karnevalsvereine  mit dem Einstudieren ihrer Programme beginnen und dem Bürgermeister von Santa Cruz einen Besuch abstatten.


In der Folge finden überall auf der Insel Vorausscheidungen statt, da nur die Besten der Besten auf der größten Bühne Teneriffas, auf der Plaza de España in Santa Cruz, auftreten dürfen.

Auf dem karnevalistischen Sektor gibt es eine regelrechte Vereinsstruktur mit festen Gremien, Verbänden und Bewertungskriterien, wobei jede Karnevalsgruppe ein eigenes Vereinslokal und einen eigenen Übungsraum besitzt.

Infokasten:
Das Karnevalsplakat ist ein wichtiger Ausdruck des städtischen Lebens. So können die Plakate vergangener Jahrzehnte in Santa Cruz als gestaltete Pflastersteine auf dem Bürgersteig  der Avenida de la Constitución gegenüber vom Messezentrum Recinto Ferial bewundert werden. Darüber hinaus ist in der Nähe des Theaters Guimerá in den kommenden Jahren die Einrichtung eines Karnevalsmuseums geplant, wo nicht nur die Plakate der vergangenen Karnevalsfeiern, sondern auch weitere Dokumente närrischen Treibens bewundert werden können.

Wettstreit der Murgas
Der Karneval selbst besteht aus unterschiedlichen Veranstaltungen und beginnt mit dem "Pregón" einem einer Büttenrede vergleichbaren humoristischen Vortrag, der jedes Jahr von einem anderen Prominenten gehalten wird. Es folgen die verschiedenen Wettbewerbe, wo unter anderem die besten Kostüme prämiert werden. Hier messen sich die "Comparsas" genannten Tanzgruppen genauso wie die  "Rondallas" genannten Karnevalsorchester.

Dann folgt der mehrtägige Wettstreit der "Murgas", Bänkelsängergruppen. Die "Murga" ist ein Spottgesang, der vor rund 300 Jahren in Cádiz entstand und ein fester Bestandteil der spanischen und amerikanischen Kultur ist.

Ihre Einflüsse sind heute noch bis in den lateinamerikanischen Hip Hop spürbar. Die "Murga"-Sänger nehmen in ihren Liedern die Regierenden mit einem Augenzwinkern aufs Korn.

So teilte in 2006 die sechstplazierte Gruppe "Los Traspaseros" aus Los Realejos zur Melodie des Klassikers der Village People, "YMCA", mit, warum der Norden Teneriffas verglichen mit der Hauptstadt richtig klasse ist. Zwischen den einzelnen Strophen gibt es in der Regel Instrumental-Parts, bei denen die Sänger ins trompetenähnliche Kornett blasen.

Es gibt inzwischen sehr ausgereifte "Murga"-Präsentationen. Beispielsweise lassen "Los Singuangos", Teneriffas Seriensieger, sogar Go Go Girls auftreten. Die einzelnen Beiträge werden nach unterschiedlichen Kriterien beurteilt: Originalität von Text und Musik, Qualität der Darbietung und natürlich auch der Kostüme: Die "Murga"-Sänger treten jedes Jahr in einer anderen Verkleidung auf.

Für sie ist der Karneval somit nicht nur ein zeitintensives, sondern auch ein teures Hobby; denn billig ist das Outfit nicht, da in der Regel ein Schneider mit der Ausstattung des Kostüms beauftragt wird.

Infokasten:
Viele Bänkelsängergruppen in der Hauptstadt befinden sich im Viertel rund um die Calle de la Afilarmonica Nifú Nifá auf der dem Museum für Mensch und Natur gegenüberliegenden Seite dem Barranco de Santos, der einst die Stadtgrenze der Inselhauptstadt bildete. Die einzelnen Vereinslokale sind an bunten Schildern über dem Eingang erkennbar, die von bereits im Frühling für das kommende Jahr ausgewählten Künstlern gestaltet werden.

Die Wahl der Karnevalskönigin ein großes Fest
Allerdings wird hierbei nicht die Kandidatin, sondern ihr Kostüm gekürt. Bei diesem handelt es sich dann auch nicht um ein Kleid im herkömmlichen Sinne, sondern eher um eine Inszenierung aus Stoffen und Federn, die bis zu hundert Kilogramm wiegen kann und auf Rollen gelagert ist, damit die Kandidatin nicht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird.

Jedes dieser Kostüme kostet einen fünfstelligen Betrag, der von Sponsoren aufgebracht wird, so dass die Wahl der Königin auch ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Wirtschaftsunternehmen ist.

Darunter befinden sich so namhafte Förderer wie die Einkaufszentren "El Meridiano" in Santa Cruz und "Alcampo" in La Laguna, das Kaufhaus "El Corte Inglés" und das Kleinanzeigenblatt "El Baúl".

Jedes Kostüm steht unter einem bestimmten Thema: ob nun "Mittwoch bei Vollmond", "Klang des Friedens" oder "Ritual".

Neben der Karnevalskönigin werden außerdem noch eine Kinderkönigin und eine Seniorenkönigin gewählt. Die Wahl der Königin ist das Finale eines furiosen Spektakels, bei dem das Thema des Karnevals musikalisch und schauspielerisch auf einer riesigen Bühne mit vielen, bis zu zwanzig Meter hohen, Kulissen musikalisch, tänzerisch und schauspielerisch umgesetzt wird.

Die Bühne alleine kostet mehrere Millionen Euro. Der Aufbau dauert rund vier, der Abbau nimmt rund zwei Wochen in Anspruch. Trotzdem ist die Bühne zu klein für die vielen Akteure an diesem Tag.


Deshalb warten die meisten außerhalb des Festgeländes auf ihren Auftritt. An der Rückseite des Geländes sitzen auf einer Empore die Reporter von elf lokalen Radiostationen in engen Kabinen und versuchen trotz der extrem lauten Geräuschkulisse um sie herum, den Hörern ihre Eindrücke zu vermitteln.

Auch in Las Palmas wird im Rahmen der großen, "Mogollon" genannten Tanzveranstaltungen eine Karnevalskönigin gewählt. Der absolute Publikumsmagnet auf Gran Canaria ist allerdings seit einiger Zeit die Wahl der "Drag Queen", der Transvestitenkönigin. Im vergangenen Jahr wurde ein Delfintrainer aus dem Loro Park in Puertro de la Cruz zur zweitbesten Drag Queen Gran Canarias gekürt.

Im Gegensatz zur Wahl der Karnevalskönigin steht bei der Kür der hochhackigen Drag Queen die Bühnenpersönlichkeit des Kandidaten im Vordergrund.


Der Bewerber macht in der Regel ein paar launige Ansagen und trägt ein paar Songs zum Playback vor.

Auf Teneriffa gibt es Drag Queen-Wettbewerbe in La Orotava und Puerto de la Cruz. Allerdings in einem erheblich kleineren Rahmen, was auch mit der nicht allzu hohen Zahl der Bewerber zu tun hat.

Das kann allerdings nicht daran liegen, dass die Herren der Schöpfung sich davor schämen, in Frauenkleidern in der Öffentlichkeit aufzutreten. Nach einer Statistik verkleiden sich zu Karneval auf Teneriffa 80 Prozent der Männer als Frau, auf Gran Canaria sind es 70 Prozent und in Spaniens dritter Karnevalshochburg Cádiz immerhin 20 Prozent.

Hierzu gibt es unterschiedliche Theorien: einerseits wird den Männern Teneriffas eine latente homophile Veranlagung unterstellt, andererseits, etwas profaner, wird behauptet, dass die Herren zu geizig sind, um sich Kostüme zu kaufen und deshalb den Kleiderschrank ihrer Frau oder Freundin plündern.

Besonders auffällig sind die als Frau verkleideten Männer am Tag der "Beerdigung der Sardine", dem Pendant zum deutschen Aschermittwoch.


Sie führen dann, ganz in schwarz gekleidet, den Zug an, der eine Sardine aus Pappmaché durch die Straßen des jeweiligen Ortes zu dem Platz trägt, auf dem sie verbrannt wird.

In Puerto de la Cruz geschieht das romantischer Weise im kleinen Fischereihafen und zieht tausende von Schaulustigen an, die zuvor dem Pappfisch auf seinem Weg über die zentrale Plaza del Charco gefolgt sind. Allerdings ist der Karneval dann noch nicht vorbei, es wird bis zum folgenden Sonntag weitergefeiert. 

In Puerto de la Cruz stehen beispielsweise unzählige Buden und Zelte zwischen der zentralen Plaza de Charco und dem großen Parkplatz am Hafen.


Und natürlich fehlen auch Stände mit Masken und Karneval-Acessoires nicht.

Text: Elmar Wellenkamp
Fotos: Teneriffa Panorama

Wir danken Teneriffa Panorama für diesen Beitrag:
Teneriffa Panorama ist eine vierteljährlich erscheinende vierfarbige Hochglanz-Zeitschrift mit derzeit 60 Seiten. Inhaltliche Schwerpunkt sind die Kultur, Natur, Menschen und Geschichte der Kanarischen Inseln.