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Bolivien: Inti Wara Yassi - Boliviens Arche
In einem von Freiwilligen getragenen Projekt in Bolivien werden gefangene und misshandelte Wildtiere rehabilitiert und ausgewildert.
Ein Polizist kommt den kleinen Pfad, der durch dichtes Dschungelgrün führt, herauf. Nach einer kurzen Begrüßung greift er vorsichtig in die Jackentasche, holt eine kleine Pelzkugel heraus und übergibt sie Nena. Die Bolivianerin seufzt und dankt. "Fast täglich bringt uns die Polizei neue Tiere, die sie irgendwo beschlagnahmt haben. Wir sind froh über jedes Tier, das gerettet wird, aber wir wissen schon lange nicht mehr, wie wir das bezahlen sollen", erzählt die 30-jährige, während sie sorgfältig das kleine Tier untersucht. "Ein nachtaktives Äffchen, etwa zwei Wochen alt", stellt sie fest und ruft nach Philip.
Über 200 Affen, hunderte Papageien und Tukane, einige Wildkatzen und Schildkröten haben hier bei Inti Wara Yassi eine Zuflucht gefunden. Das Projekt, dessen Namen auf Aymara soviel wie Sonne Sterne Mond bedeutet, ist einzigartig, nicht nur in Bolivien. "Als wir anfingen, hatten wir nichts außer einem Zelt, ein paar misshandelte Tiere und viel Hoffnung", erinnert sich der Gründer Juan Carlos.
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Auf einer Reise durch Bolivien hatte er einige Affen aus der Gefangenschaft frei gekauft. In Villa Tunari, einem Städtchen mitten im berüchtigten Chapare, dem Cocaanbaugebiet Boliviens, fand er 1992 das geeignete Areal um sein Refugium für misshandelte Wildtiere zu errichten. Es ist ein idyllischer Ort: Affen turnen durch die Baumwipfel, im satten Grün sitzen bunte Papageien, ein Bächlein plätschert. "Unser Ziel ist es, die Tiere auszuwildern. Aber oft ist das unmöglich, gerade bei den Affen. Wenn sie einmal an Menschen gewöhnt sind, kann man sie nicht einfach aussetzten". Wie zum Beweis turnt ein Spinnenaffe heran und nimmt auf Carlos Kopf Platz. "Das ist Pedro, der seine täglichen Streicheleinheiten einfordert", erklärt Carlos ungerührt, und beginnt den großen schwarzen Affen zu kraulen.
Vorsichtig überreicht Nena Philip das gerade eingelieferte Äffchen. Der hat schon ein winziges Fläschchen Milch bereit und schiebt den kleinen Gummisauger behutsam in das Mäulchen. Hungrig fängt das Tier an zu saugen. Alle sind erleichtert: Solange die Tiere Hunger haben, haben sie eine gute Chance durch zu kommen. Nachdem sich das Affenbaby satt getrunken hat, setzt Philip es sich auf den Kopf, wo es sich sofort in seinen länglichen Haaren festkrallt und einschläft so wie es sich am Rücken seiner Mutter festhielt, bevor diese getötet und das Äffchen an Tierhändler verkauft wurde. Philip wird es die nächsten Wochen ständig mit sich herum tragen.
Der blonde 20-jährige ist kein Tierpfleger. Er ist nicht einmal Bolivianer. Philip ist Engländer, der sich ein halbes Jahr von der Uni frei genommen hatte um mit dem Rucksack durch Südamerika zu reisen. Nach sechs Wochen landete er in Bolivien bei Inti Wara Yassi. Schnell beschloss er, Machu Picchu und Rio sausen zu lassen und stattdessen den Rest seiner Reisezeit in den Dienst der Tiere zu stellen. So wie ihm geht es vielen Reisenden und ohne die freiwilligen Helfer aus aller Welt wäre das Projekt undenkbar. "Wir sind darauf angewiesen, dass uns Menschen mit ihrer Arbeitskraft unterstützen", erklärt Nena, die das Refugium managed. Die Arbeit ist hart: Käfige säubern, Verschläge bauen, Touristen rumführen, mit Katzen spazieren gehen.
Ja richtig, mit den Katzen spazieren gehen. El Gato wartet schon ungeduldig auf seinen Auslauf. Der Puma wurde aus einem Zirkus befreit. Sein Dompteur hat ihn so heftig auf die Hinterläufe geschlagen, dass er nie wieder jagen kann. Ihn auszuwildern ist somit unmöglich. Die Philosophie des Projektes ist es, jedem einzelnen Tier soviel Freiheit wie irgend möglich zu geben.
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In El Gatos Fall heißt das, mit ihm an einer langen Leine spazieren zu gehen, oder vielmehr, ihm zu folgen, wohin auch immer er gehen mag. Heute geht es quer durchs Unterholz Richtung Bach.
Zwischendurch verlangt es ihn gekrault zu werden, und das zeigt er so wie alle Katzen: Er legt sich auf den Rücken. Der Puma schnurrt wohlig, und es klingt, als käme eine Eisenbahn. Zufrieden fährt er die Krallen an seiner handteller-großen Tatze ein und aus.
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Der Handel mit Wildtieren hat weltweit ein Volumen von jährlich fünf Milliarden US Dollar. Um ein seltenes Tier zu besitzen, sind Sammler aus Nordamerika und Europa bereit, jeden Preis zu bezahlen. Dazu kommt, dass viele Bolivianer Wildtiere als Haustiere halten. Die Geschichte ist immer dieselbe: Die Mütter werden erschossen, die Jungtiere der oft vom Aussterben bedrohten Arten verkauft. Wenn sie durch kommen, erwartet sie ein jämmerliches Leben in Gefangenschaft. Bolivien hat zwar das internationale Abkommen, das den Handel mit Wildtieren verbietet, unterzeichnet, doch das bitterarme Land hat dringendere Probleme als verwaiste Affen und Papageien mit gestutzten Flügeln. So bringen die Ordnungshüter zwar Tiere, die sie auffinden, nach Villa Tunari in das Auswilderungsprojekt, aber wie Nena und ihre Crew dann für diese Tiere sorgen, ist einzig ihre Sache; vom Bolivianischen Staat gibt es keinen Cent. Getragen wird das Projekt von den Spenden der Freiwilligen und den Eintrittsgeldern der Besucher. Kein Wunder, dass ständig Geldknappheit herrscht.
Manche Dinge werden sich wohl nie finanzieren lassen, wie etwa die Idee den Jaguar Juan auszuwildern. Eine reiche bolivianische Familie hatte ihn bei Wilderern bestellt. Die töteten die Mutter und brachten das niedliche Baby in ein schickes Appartement in Santa Cruz. Irgendwann stellte die Familie fest, dass sich der junge, unternehmungslustige Jaguar nicht mit den Designermöbeln vertrug und verkaufte das Tier an einen Zirkus. Die Polizei bekam Wind davon und brachte ihn in das Projekt. Abseits vom üblichen Betrieb, so dass Juan sich möglichst nicht noch mehr an Menschen gewöhnt, brachte man ihm bei zu jagen, so gut das halt geht.
Eigentlich könnte das vom Aussterben bedrohte Tier in die Freiheit entlassen werden. Doch einen Jaguar kann man nicht einfach an der nächsten Straßenecke aussetzten, nicht mal in Bolivien. Ein Hubschrauber müsste gechartert werden, der Juan mit einem Betreuer tief in den Urwald bringt und den Betreuer nach ein paar Wochen wieder abholt. Soviel Geld, das weiß Nena, wird Inti Wara Yassi wohl niemals zur Verfügung haben.
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Ja, es ist frustrierend, wenn Nena und Carlos wieder nicht wissen, wie sie das Fleisch für die Wildkatzen, das Holz für die Verschläge, die Kosten für den Tierarzt bezahlen sollen. Aber es gibt auch Erfolgserlebnisse. Papageien, deren Schwungfedern nachwuchsen, ziehen heute im Wald ihre Jungen auf. Eine Gruppe von Affen lebt inzwischen fast völlig autark im benachbarten Regenwald. Selbst ein Puma konnte ausgewildert werden. Und manche Momente, die möchte Nena niemals missen. "Lisa, ein Kappuzineräffchen, kam völlig verwahrlost und verängstigt zu uns. Ihr ganzes Leben hatte sie in einem kleinen Käfig oder an einer kurzen Kette verbracht. Jetzt schwingt sie sich von Ast zu Ast und wurde letzte Woche Mutter. Wenn ich so etwas erlebe, dann weiß ich, dass unsere Arbeit hier nicht umsonst ist." Zufrieden sieht sie dem gelben Äffchen zu, das ein winziges Baby auf dem Rücken trägt.
Mehr Informationen über das Projekt gibt es unter
www.intiwarayassi.org.
Text + Fotos: Katharina Nickoleit
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Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
139 Seiten; broschiert
ISBN-10: 3896623648
ISBN-13: 978-3896623645
Verlag: Reise Know-How Verlag Hermann
2. Auflage (01.09.2009)
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