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[art_1] Portugal: Die "Invasion" der Jesuiten in Äthiopien
Pedro Paez "bekehrt" 1620 Kaiser Susinios III.

Im Jahr 2003 versammelt sich eine spanische Reisegruppe am Tana-See in Äthiopien, unweit der Quellen des Blauen Nils in der ehemaligen Hauptstadt Gorgora um einen halb verwitterten Grabstein, der in einer Kirchenruine steht. Inzwischen ist der Grabstein vom Unkraut befreit und restauriert und zu Ehren des Toten, an den er erinnert, wurde eine Gedenktafel in spanischer und amharischer Sprache angebracht - anlässlich des 400. Jahrestags seiner Ankunft in Äthiopien (1603). Die Reisegruppe, deren Expedition 2003 unter anderem von der Tageszeitung "El Mundo" gesponsert worden war, folgte den Spuren des in Europa weitgehend vergessenen spanischen Missionars Pedro Paez. Inspiriert durch sein Leben und Werk publizierte der spanische Bestseller-Autor Javier Reverte 2001 seinen Roman mit dem Titel: "Dios El Diablo y La Aventura" (Gott, der Teufel und das Abenteuer). Mit dem Erfolg dieses Romans dürften die Impressionen des Jesuiten Pedro Paez vor der Vergessenheit bewahrt werden.

[Äthiopischer Priester in der Kirche Bet Golgota in Lalibela. Er zeigt zwei der typischen Lalibela-Kreuze]


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Pedro Paez wurde 1564 in einem kastilischen Dorf mit dem schönen Namen Olmedo de las Cebollas in ein Ambiente hineingeboren, das nicht gerade eine glänzende Zukunft erahnen ließ. Doch nachdem er 1582 mit nur 18 Jahren dem Jesuitenorden beigetreten war und einige Jahre im portugiesischen Coimbra studiert hatte, bat er darum, zur "Heidenmission" nach Asien gehen zu dürfen. Von diesem Wendepunkt an entwickelt sich sein Leben zu einer idealen Romanvorlage und er sollte nie mehr nach Europa zurückkehren.

1588 erreicht er zunächst Goa. Diese indische Hafenstadt war seit 1510 portugiesische Kolonie und Sprungbrett für alle Expeditionen der Krone Portugals in Asien und Ostafrika und Ausgangspunkt für Missionsaktivitäten. Auch die Jesuiten gründeten ein Kloster in Goa um von dort aus Gebiete in Indien, China, Japan und Ostafrika zu missionieren. Nach etwa einem Jahr macht sich Pedro Paez auf den Weg nach Äthiopien. Unterwegs wird er von Arabern gefangen genommen und als Sklave verkauft. In einer Sklavenkarawane, zu Fuß und in Ketten, durchquert er als erster Europäer die Wüste Hadramaut im Jemen und verbringt viel Zeit in unterirdischen Kerkern, wie er später berichtet. Insgesamt sieben Jahre dauert seine qualvolle Gefangenschaft, die er dazu nutzt fließemd Arabisch zu lernen. Dann wird er freigekauft, erholt sich einige Zeit in Goa, bevor er erneut aufbricht und 1603 endlich Äthiopien erreicht. Er bleibt in der Nähe der Küstenstadt Massawa und lernt eifrig die äthiopische Landessprache Amharisch sowie die Kirchensprache Geez, das "äthiopische Latein", bevor er sich an den kaiserlichen Hof nach Gorgora am Tana-See begibt. Überraschend schnell gewinnt er die Freundschaft des Negus Negusti ("König der Könige"), wie sich die Kaiser Äthiopiens seit Jahrhunderten nannten. Kaiser Za-Dengel ist fasziniert von diesem seltsamen Fremdling, der seine Sprache perfekt spricht und einen sehr weiten Weg zurück gelegt hat, nur weil er sich gern mit ihm über Gott, die Heilige Schrift und den Papst unterhalten möchte.

[Pilger auf dem Weg ins einsame "schwarze Jerusalem" Lalibela]


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Warum war Paez in dieses entlegene Land gekommen, das er bis zu seinem Tod nicht mehr verlassen würde? Und was bedeutete sein Zusammentreffen mit dem Kaiser vor dem Hintergrund der langen Geschichte Äthiopiens?
Für die Europäer der frühen Neuzeit, die erstaunlich wenig über diesen Teil der Welt wussten, war Äthiopien das sagenumwobene Land des "Priesters Johannes" - so wird es von vielen portugiesischen und spanischen Entdeckern genannt. Man glaubte, dass diese geheimnisumwitterte Gebirgsregion im östlichen Afrika von einem Priesterkönig regiert würde. Und so falsch war diese Idee nicht. Denn obwohl die orthodoxe Kirche Äthiopiens nominell abhängig war vom Patriarchen im ägyptischen Alexandria, der wiederum den äthiopischen Patriarchen ernannte, entwickelte sie sich de facto spätestens seit der Zagwe-Dynastie im 12. Jahrhundert unabhängig. Oft waren die Kaiser im Falle eines schwachen Patriarchen auch die eigentlichen Führer der Kirche - und viele von ihnen trugen tatsächlich den Namen Johannes.

Pedro Paez berichtet in seinen Schriften von der Geschichte Äthiopiens und dem Gründungsmythos des Kaiserhauses, wobei er sich auf die Chroniken der Herrscher ("Kebra Naghast") bezieht. Alles begann der Legende nach tausend Jahre vor Christus mit der Liebe zwischen dem israelitischen König Salomon und der Königin von Saba, die aus Äthiopien kam. Alle äthiopischen Kaiser führten ihre Dynastien zurück auf die Nachkommenschaft von Salomon und der Königin von Saba (wobei keineswegs klar ist, ob es überhaupt zu einer Vereinigung der beiden kam - das Alte Testament bleibt hier unklar und lässt viel Spielraum für Interpretation). Und noch der letzte Kaiser Äthiopiens, RasTafari, der später offiziell Haile Selassie hieß, schmückte sich mit dem Beinamen "der Löwe von Juda". Es muss schon vor unserer Zeitrechnung enge Beziehungen zwischen Äthiopien und Israel gegeben haben, denn man pflegt im abessinischen Hochland bis heute erstaunlich viele jüdische Traditionen.

[Die "unterirdische" Kirche Bet Giorgis - das meist fotografierte Motiv in der heiligen Stadt Lalibela]


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Seit Kaiser Ezana im 4. Jahrhundert zum Christentum übertrat, gilt Äthiopien - zusammen mit Armenien - als ältester christlicher Staat der Welt. Aber das äthiopische Christentum hat auch zahlreiche jüdische Elemente bewahrt, z.B. die Beschneidung, die Feier des Sabbats, Speise- und Fastengebote (Verbot von Schweinefleisch). Gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstand während der Regierungszeit des Kaisers Lalibela an dem heute nach ihm benannten, einsamen Ort in 2800 Metern Höhe das "schwarze Jerusalem": die zwölf berühmten Felsenkirchen von Lalibela. Seit 1978 Weltkulturerbe, wurden sie gebaut als ein Abbild des Jerusalemer Tempels - wie man sich ihn in Äthiopien vorstellte - und durch einen gewaltigen architektonischen Kraftakt aus den Felsen gemeißelt. Der portugiesische Jesuit Francisco Alvarez war im 16. Jahrhundert so erstaunt angesichts dieses Architekturwunders, dass er es mit der Kathedrale von Santiago de Compostela verglich und behauptete, es müssten wohl Weiße gewesen sein, die dies gebaut hätten - den Bewohnern des schwarzen Kaiserreichs traute er dies nicht zu.

[Die Kirche Bet Giorgis ist nur durch unterirdische Tunnel zu erreichen]


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Kontakte Äthiopiens zum christlichen Europa gab es verstärkt seit dem 15. Jahrhundert, nachdem Kaiser Zara Yacob (1434 – 1468), motiviert durch die islamische Bedrohung, die u.a. vom expandierenden Osmanischen Reich ausging, eine offizielle Bitte um militärische Hilfe an Portugal richtet. Es sollte Jahrzehnte dauern bis eine nennenswerte Reaktion aus Portugal erfolgte und der Kaiser selbst erlebte es nicht mehr. 1520 traf ein portugiesisches Schiff mit Soldaten und Missionaren ein und 1541 eilt Cristovao da Gama, der Sohn des Admirals und Entdeckers Vasco da Gama, den Äthiopiern gegen die Moslems zur Hilfe. Zunächst jedoch ohne Erfolg, denn die muslimische Invasion scheint voran zu kommen und Cristovao da Gama stirbt in der Schlacht. Aber zwei Jahre später werden die Moslems besiegt und wieder aus dem äthiopischen Hochland verdrängt.

Parallel zur halbherzigen Waffenhilfe entwickelten die Portugiesen - und Hand in Hand mit ihnen die Spanier (1580 - 1640 wurden Spanien und Portugal in Personalunion von den spanischen Habsburgern regiert) - noch andere, höchst interessante Aktivitäten im Kaiserreich Äthiopien. Etwa ein Jahrhundert lang, von 1520 - 1620, gaben sich iberische Missionare verschiedener Orden in den kaiserlichen Residenzen rund um den Tana-See die Klinke in die Hand - mit dem abenteuerlichen Ziel, das äthiopisch orthodoxe Kaiserhaus in ein römisch-katholisches zu verwandeln. Besonders hartnäckig wurde dieses Projekt von den Jesuiten verfolgt. Die ersten von ihnen, Vorgänger von Pedro Paez, kamen 1557 ins Land.

[Trommelnde Messdiener bei Freiluft-Gottesdienst vor der Kirche Bet Maryam in Lalibela]


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Nicht bekannt ist, wer den Auftrag zu den Missionen erteilte: König Philipp II. (1556 - 1598), Herrscher von Spanien und Portugal und bekannt für seinen Missionseifer, oder der Papst in Rom. Offenbar hatten beide, der Pontifex Maximus und Seine Allerkatholischste Majestät - ein nahe liegendes Interesse an einem katholischen Äthiopien. Jedenfalls war es ein Beispiel für europäische Arroganz, ausgerechnet das
älteste christliche Land "missionieren" zu wollen, um den Einflussbereich des römischen Papstes auszuweiten. Christus hätte es wohl lieber gesehen, dass sich in jenen Tagen äthiopische Missionare auf den Weg ins dekadente Europa machten, wo sich machtgierige Päpste wie Klemens VIII. oder Paul V. mit mehr Hingabe der Eintreibung von Ablassgeldern oder der Versorgung ihrer Neffen mit Kardinalswürden widmeten, als sich um Glaubensfragen zu kümmern.

Pedro Paez vertritt im fernen Äthiopien zweifellos auch katholische Missionsabsichten und führt zahlreiche theologische Diskussionen mit Kaiser Za-Dengel, mit dem er Freundschaft schließt. Und er hat Erfolg: 1604 konvertiert der Kaiser offiziell zum Katholizismus. Aber noch im gleichen Jahr wird er während einer Rebellion getötet. Dieser Widerstand war vom äthiopischen Patriarchen unterstützt worden, der seinen Kaiser nun plötzlich als Ketzer verdammte. Denn für den "Abuna Salama" ("Vater des Friedens") - so der Titel der äthiopischen Kirchenführer - war der Übertritt zum Glauben des dahergelaufenen Fremdlings ein skandalöser Affront und ein plötzlich katholischer Kaiser eine Gefahr für das ganze Land.

Dennoch ist Pedro Paez als historische Person differenzierter zu beurteilen und verdient Respekt. Denn erstens symbolisiert er nicht nur die eher "negativen" Eigenschaften der Jesuiten (kritiklose Papsttreue und katholischer Universalanspruch), sondern er steht auch für die "positiven" Merkmale dieses Ordens: ein hohes Bildungsideal, Offenheit für fremde Kulturen und Synkretismus, der katholische und einheimische Traditionen zu vereinigen sucht.

[Die rosarote Felswand der Kirche Bet Gabriel in Lalibela mit Priester in der Türöffnung]


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Und zweitens interessierte er sich wirklich für das Land, das seine zweite Heimat wurde, und widmete ihm voller Bewunderung seine monumentale, tausend Seiten lange "Historia geral de Etiopia", die leider als unveröffentlicht gelten kann. Das Schicksal dieses so fundamentalen Werkes der Historiographie ist ein Trauerspiel, denn die einzige Ausgabe von 1945 mit winziger Auflage ist längst vergriffen und es gibt nur noch ein halbes Dutzend Exemplare, die in dunklen Ecken portugiesischer Archive dahin dümpeln. Es gibt bis heute weder eine spanische noch eine amharische Übersetzung. Dabei wäre es für die Äthiopier des 21. Jahrhunderts interessant zu lesen, was ein spanischer Mönch in portugiesischer Sprache vor 400 Jahren über ihr Land geschrieben hat.

Für die Europäer des 17. Jahrhunderts müssen seine Schilderungen höchst spannend gewesen sein. Denn der Jesuit Pedro Paez sammelt Eindrücke aus einem exotischen Land, die vor ihm noch niemand aus dem Abendland in Worte gefasst hatte. Dieser Abenteurer Gottes entdeckt bei einem Ausflug mit dem Kaiser als erster Europäer 1618 die Quellen des Blauen Nils. Er beschreibt seine Gefühle angesichts der Nilquellen mit den Worten: "Ich gebe zu, dass es mich sehr freute, etwas erblicken zu dürfen, das der König Kyros, der große Alexander und Julius Caesar (vergeblich) zu sehen wünschten."

Aber Pedro Paez macht eine für den Rest der Welt vielleicht noch wichtigere Entdeckung. Er berichtet - wahrscheinlich als erster Europäer - über das obskure Getränk, das ihm heiß serviert wird und seine Sinne stimuliert: Kaffee!

Trotz der Fülle von Eindrücken vergisst der Entdecker, Architekt (er baute mehrere Kirchen in Gorgora) und Historiker Paez nicht seine Hauptaufgabe. Auch mit Kaiser Susinios (Susneyos) III., der von 1607 - 1632 regiert, führt er lange theologische Gespräche. Dabei scheint jedoch sein Missionseifer immer mehr hinter einem echten religiösen Dialog zurück zu treten, der eher eine Union der beiden Kirchen anstrebt statt römische Missionierung. Und als der Kaiser ihm sagt, er wolle offiziell katholisch werden, gibt Paez ihm den Rat, damit zu warten, um nicht erneut einen Bürgerkrieg zu provozieren.

[Kaiserliche Residenz von Fasildas in Gondar]


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Am 20. Mai 1622 stirbt Pedro Paez unerwartet an einem Fieber - ein Jahr, nachdem Kaiser Susinios entgegen seinem Rat den Übertritt zum katholischen Glauben verkündet hatte. Die portugiesischen Nachfolger dieses außergewöhnlichen Missionars, die von nun an Einfluss auf den zweiten katholischen Kaiser ausübten, waren weniger tolerant als Paez. Der Jesuit Alphonsus Mendez will viele einheimische Traditionen verbieten, alle Einwohner neu taufen lassen und er lässt sich selbst zum neuen Patriarchen Äthiopiens ausrufen! Von 1622 - 1632 ist also nominell ein Jesuit äthiopischer Kirchenführer. Neben dem Habsburger Ferdinand II. wird Susinios III. der zweite katholische Kaiser der Welt. Es kommt erneut zu einem bürgerkriegsähnlichen Chaos, bis der Kaiser 1632 ein Einsehen hat und zugunsten seines Sohnes Fasildas abdankt. Der neue Kaiser macht kurzen Prozess und beendet abrupt das jesuitische Intermezzo: alle Jesuiten werden aus Äthiopien vertrieben, fünf von ihnen exekutiert. Während seiner langen Regierungszeit 1632 - 1668 lässt er ab 1636 die neue Hauptstadt Gondar aufbauen. Hier zeigt sich, dass die lange Präsenz der Jesuiten auch Vorteile hatte, denn Architekten, die von den Jesuiten ausgebildet worden waren, bauen die Kaiserpaläste von Gondar, die heute eine Touristenattraktion sind und in der Tat nicht sehr afrikanisch, sondern eher wie eine portugiesische Burg in Braga oder Evora aussehen.

[Palast von Kaiser Fasildas in der alten Hauptstadt Gondar, erbaut von Jesuiten-Schülern]


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Diese architektonische Bereicherung ändert jedoch nichts daran, dass seit der "jesuitischen Invasion" in Äthiopien ein tiefes Misstrauen gegenüber allen europäischen Einflüssen herrscht. Vielleicht hat dies sogar dazu beigetragen, dass das Kaiserreich als einziger Staat Afrikas nie europäische Kolonie wurde. Diese Gefahr wurde noch fast drei Jahrhunderte später von Kaiser Menelik II. abgewendet, der 1896 in der Schlacht von Adua die Italiener vernichtend besiegte - es war der erste und einzige Sieg eines afrikanischen Heeres gegen Europäer im 19. Jahrhundert. Das Kaiserreich Äthiopien fand mit der Ermordung des von der Rastafari-Bewegung als Messias verehrten letzten Kaisers Haile Selassie 1975 durch die sozialistischen Militärdiktatoren ein ruhmloses Ende.

[Ein Heiliger am Eingang zum Tempelbezirk von Lalibela: Urchristentum pur]


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Doch die Geschichte des Landes und seiner unabhängigen Kirche bleiben faszinierend. Und man darf hoffen, dass das monumentale Werk von Pedro Paez, das viel zum Verständnis von Äthiopien beiträgt, endlich neu veröffentlicht und übersetzt wird.

Text + Fotos: Berthold Volberg