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[art_2] Kuba: Der durch die Wolken schwebte
Erinnerung an eine regnerische Begegnung mit Fidel Castro
Es regnete schon seit früh in Strömen an jenem Montag, den 26. Juli 1999 in Cienfuegos. Wir hatten uns Stunden vor Fidels geplanter Ankunft aufgemacht, um einen guten Platz auf dem gigantischen Feld zu ergattern, möglichst nahe an der hölzernen Rednertribüne. Die Straßen waren an jenem Tag mit Fahnen und Spruchbändern geschmückt, auf denen dem "Movimiento 26 de Julio" gedacht wurde, der die kubanische Revolution einleitete: der Angriff auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba im Juli 1953.
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Fast ein halbes Jahrhundert war seitdem vergangen. Längst knirschte es an vielen Stellen im kubanischen Staat, hinter vorgehaltener Hand erzählten uns die Menschen von den Missständen ihres Alltags. Trotzdem strömten sie auf das Feld in Cienfuegos, das in diesem Jahr für die Feierlichkeiten auserwählt worden war.
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Unter Regenschirmen versuchten sich die Menschen vor dem Regen zu schützen, viele hatten sich transparente Plastikplanen übergestülpt. Solange es regnet, kommt er nicht, raunten sich die Umstehenden zu. Sein Hubschrauber könne bei dem Wetter nicht in Havanna starten. Und wenn doch, so könne er bei dieser geschlossenen Wolkendecke nicht landen. Es wurde immer später und düsterer, der grau-schwarze Himmel tünchte die durchnässte Umgebung in dumpfe Pastelltöne. "Er kommt nicht mehr, gehen wir", sagte mein Nebenmann. "Er kommt", entgegnete ein anderer. Wir blieben.
Als der Regen endlich aufhörte, vernahmen wir aus der Ferne ein leises Rotorengeräusch. Es summte irgendwo oberhalb der tiefhängenden Wolken, bis diese sich plötzlich öffneten, direkt über der Rednerbühne am Horizont unseres Blickfeldes. Durch das Loch im Himmel schoss zuerst ein gleißender Strahl der untergehenden Sonne hinab.Dann senkte sich langsam ein olivgrüner Hubschrauber durch die Wolkendecke und glitt entlang des Sonnenstrahls hinab zur Erde. Über dem Platz lag die Stille des Staunens, dann brandete Beifall auf. Wenig später betrat Castro die Rednertribüne, die er über die nächsten Stunden nicht mehr verlassen sollte.
Warum es mich damals so bewegte, weiss ich nicht, aber eine dürre Gestalt mit Barett und oliv-grüner Tarnuniform, die von einem Licht- und Lautsprecherturm hinab Fotos schoss, bereitete mir eine Gänsehaut. Ob es Alberto Korda war? Ob er ein Bild von mir gemacht hatte, wie ich mit ernstem Blick auf den winzigen Castro am Horizont blickte? Ich musste über meine eigene Dummheit lachen.
Wie lange wir noch in unseren aufgeweichten Kleidern auf dem Feld verharrten, weiss ich nicht mehr. Eine, vielleicht zwei Stunden. Dann gingen wir heim, vorbei an den Häusern, aus deren offenen Fenstern und Türen Castros Rede dröhnte. Alle Sender würden die Rede übertragen, hatten wir gehört. Nun redete er scheinbar ohne Ende weiter. Zum Schluss, als wir längst unseren Gutenachttrunk schlürften, soll er dann mit den Worten "Kuba setzt unerschütterlich seinen Vorwärtsmarsch fort" geendet haben.
Am 25. November 2016 verstummte er nun für immer. Auf den Tag genau 60 Jahre nachdem er mit der Yacht Granma im mexikanischen Tuxpan Richtung Kuba aufgebrochen war. Ihm, der es stets verstanden hatte, seine Auftritte richtig zu timen, war das nun auch bei seinem Abtritt gelungen. Ob sich an jenem 25. November 2016 die Wolkendecke über Havanna öffnete, um Fidel Castro majestätisch durch sie hindurch in den Himmel zu hieven, ist jedoch nicht bekannt. Überraschen würde es mich nicht.
Text + Foto: Thomas Milz
[druckversion ed 01/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: kuba]
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