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[art_2] Argentinien: Die Einsamkeit der Farben
 
Als Dieter Meier in den späten 1990er Jahren ein Weingut im argentinischen Agrelo Alto, einem der besten Anbaugebiete rund um Mendoza, kaufte, hatte er sich bereits in einer ganzen Reihe von Berufen ausprobiert – zum Teil mit bombastischem Erfolg. Als Poker-, Roulette- und Golfspieler, Musiker, Videokünstler und Autor, Unternehmer und Großaktionär. In Deutschland ist sein Name erst einmal nur ein Allerweltsname. Erwähnt man aber seine Elektropop-Gruppe "Yello", die als einer der Vorreiter der Techno-Bewegung gilt, wissen die meisten Menschen nördlich der Alpen schon sehr viel eher etwas mit ihm anzufangen. Lieder wie Oh Yeah und The Race hielten sich nicht nur über Wochen in den Hitparaden. Sie wurden dem breiten Publikum vor allem als Film- und Fernsehmelodien bekannt.


Quelle: Weingut Dieter Meier

Dieter Meier fällt auf. Er hat einen ganz besonderen Stil sich zu kleiden. Ganz gleich, ob er auf der Bühne steht, in der Schweizer Geschäftswelt agiert oder auf seinem argentinischen Weingut arbeitet, trägt der Mann mit dem markanten Schnauzbart Halstuch und Jackett. Manche verbinden mit seinem Stil das Bild eines Bonvivants, andere das eines Dandys. Er selbst könne sich mit keinem dieser Begriffe anfreunden, sagte er in einem Interview. "Ein Bonvivant ist ein bedauerlicher Radikal-Hedonist, der sein eigenes oberflächliches ‚Gut leben’ über alles andere stellt. Der Dandy versteht sich als lebendes Gedicht, er produziert vor allem sich selbst und kann durchaus ein großer Künstler sein. Keiner dieser Begriffe trifft auf Meier-ab-dafür zu", bringt er sich in dem Gespräch selbst auf den Punkt.

Meier-ab-dafür steht für vieles. Vor allem dafür, etwas 100%ig zu machen, wenn er es sich vorgenommen hat. Nicht ohne Grund hat Yello bis heute mehr als zwölf Millionen Tonträger verkauft. Außerdem hält Meier rund 14 Prozent an dem Schweizer Notenbank-Drucker Orell Füssli und 13,6 Prozent am Verkehrs-Dienstleister BVZ Holding in Zermatt. Aktienpakete, die ein Vermögen von mehr als 50 Millionen Franken darstellen und deren Wert sich binnen 20 Jahren mindestens verzehnfacht haben dürfte.

Aber all das reichte Meier nicht aus. Er selbst sieht sich nicht als Mann der Zahlen, sondern findet Bestätigung in der Verwirklichung seiner Träume. Einer davon war der Kauf seines Weinguts ‚Ojo de vino’ am Fuße der Anden. Sechs Monate pro Jahr verbringt er seitdem in Argentinien. Einen Teil davon auf einer Estancia in der Pampa, wo er Rindfleisch und Getreide produziert, den anderen Teil auf ‚Ojo de vino’. "Hier fühle ich mich richtig frei. Die Einsamkeit der Farmen und das unendlich weite Land verleihen ein einmaliges Lebensgefühl", schwärmt er. "Ich liebe den Dialog mit der Natur und mag es, die verschiedenen Pflanzen wachsen zu sehen."

Die Einsamkeit der Farmen lässt sich in Agrelo Alto auch als die Einsamkeit der Farben interpretieren. Der alles überlagernde blaue Himmel, die immer weißen Gipfel der Anden und das saftige Grün der Weinberge dominieren die Landschaft. Alles andere verliert sich in diesen drei Farbtönen. Agrelo Alto gilt unter anderem deswegen als das beste Anbaugebiet von Mendoza, weil die Böden steinigtrocken sind und eine Vielzahl von Mineralien enthalten, die im Verlauf von Jahrmillionen aus den Anden mit dem Schmelzwasser heruntergeschwemmt wurden. Das Schmelzwasser füllt auch die Flüsse und Grundwasserseen der Umgebung, aus denen die Winzer ihren Teil für die gezielte Bewässerung der Weinberge ableiten. Ohne Bewässerung ginge in den staubtrockenen Lagen nicht viel. Erst die behutsame tröpfchenweise Versorgung mit Feuchtigkeit garantiert die regelmäßige Qualität der Trauben. Über ihre Wurzeln nehmen die Trauben diese Mineralien auf und verleihen den Weinen ihr einzigartiges Aroma.

Meier baut in Agrelo Alto vor allem die Rebsorten Malbec, Cabernet Sauvignon und Merlot an, bio-zertifiziert (zur Verkostung siehe Traubiges: Primadonna aus Mendoza – Der Puro Malbec 2012 des Konzeptkünstlers und Hobbyweinbauers Dieter Meier). "Wir müssen in Mendoza keine Fungizide spritzen, weil es kaum regnet. Wir können also Bio-Weine ohne Nachteile herstellen, im Gegensatz zu vielen anderen Gebieten", erzählt er. "Wenn die Trauben auf diese Art reif werden, haben sie fraglos eine schönere Frucht. Das ist wie ein gesunder Mensch, der keine Chemie zu sich nehmen muss."

Aufgrund der vorteilhaften Witterungsverhältnisse kann Meier seine Weine aus vollreifen Trauben keltern. Denn dank des sehr trockenen Klimas bestehen keine Probleme mit der Feuchtigkeit im Herbst und dem dadurch verursachten Pilzbefall. Das Verbot, Fungizide einzusetzen, zwingt Bio-Winzer auf der ganzen Welt das Traubengut vorzeitig und deshalb mit nicht voll entwickelten Aromen zu ernten. In Mendoza existiert dieses Problem nicht. Meier ist Purist. "Meine Tropfen sollen so munden, wie wenn man eine Traube isst. Keine Barriques. Naturbelassene Trauben ohne nachträgliche Eingriffe und Tricks", betont er. Der Star unter seinen Rebsorten ist Malbec. Weil diese Traube feuchtigkeitsempfindlich ist, gedeiht sie hier, auf tausend Metern über dem Meeresspiegel, prächtig und ist nicht so "zickig" wie in Europa. Daher nennt Meier sie die ‚Diva aus Mendoza’.

Er selbst blüht in der Einsamkeit der Anden ebenso sehr auf wie seine Diva. "Die Tage in Mendoza sind selbstbestimmt und oft wunderbar langweilig. Vieles, was ich als sogenannter Künstler produziere, entsteht aus dieser herrlichen Langeweile."

Text + Fotos: Lars Borchert

Über den Autor: Lars Borchert ist Journalist und schreibt seit einigen Jahren über Weine aus Ländern und Anbauregionen, die in Deutschland weitestgehend unbekannt sind. Diese Nische würdigt er nun mit seinem Webjournal wein-vagabund.net. Auf caiman.de wird er ab jetzt jeden Monat über unbekannte Weine aus der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika berichten.

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