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[kol_3] Pancho: Cuba Libre für urlaubsreife Selbstorganisierte

Nach der Lektüre irgendeiner Unterschichtenzeitung hatte BertRAM beschlossen, den Ergebnissen irgendeiner Untersuchung an irgendeiner Universität Folge zu leisten. An diesem Morgen setzte er sich daher nicht wie üblich, ein Handtuch lose um die Hüften geschwungen, vor seinen Bildschirm, sondern begab sich ins Bad, duschte, rasierte, manikürte und pedikürte sich. Im Anschluss bereitete er sein tägliches Müsli mit Kaffee und aß und trank in der Küche. Er hörte Radio und vernahm ganz nebenbei, dass eine Schulfreundin aus frühen Tagen die aktuellen Nachrichten verlas:
"Der venezolanische Präsident Hugo Chávez unterstützt mit 24.000.000 Euro sozial Benachteiligte in London. Diese fahren künftig im Stadtbereich für 45 Pence gegenüber 90 Pence wie bislang..."

RAM schmunzelte ohne wirklich zuzuhören. Er war gedanklich beim zweiten Frühstück, das es laut Studie vorzubereiten galt. Aus den Tiefen seines Bettkastens hatte er gestern Nacht noch einen Aktenkoffer zu Tage befördert. In diesen packte er nun: Fix und Foxi, Sudoko und die frisch zubereiteten Frühstücksspaghetti Spinaci. Auch seine Kleidung lag bereits parat. Er zog die Jeans über die Socken und streifte das Hemd über den Kopf. Das Hemd, das er sich aus Anlass des 80sten Geburtstags seiner Oma gekauft hatte und das sie nun jedes Mal, wenn er sie besuchte, mit Hingabe bügelte. Das Bügelbrett war ihre letzte Bastion. Alzheimer nagte an ihr. Was vor sechs Jahren mit dem Verlust der Fähigkeit, Auto zu fahren begonnen, ihr dann den Sinn für das geliebte Reisen geraubt hatte, reduzierte nun Interesse und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben aufs Bügeln.



Da er selber nur ausgelatschte Sportschuhe besaß, wählte er aus dem Fundus seines Mitbewohners, des in den 80er Jahren noch schnieken Kommissar Shakiros, ein Paar himbeerfarbene Robin-Hood-Stiefel. Die Studie hatte aufgezeigt, dass Selbstständige zur Eigenmotivation und zum Auftritt am Telefon gegenüber Kunden unbedingt das Ritual des ins Bürogehens vollziehen mussten. BertRAM plagten aber weder Motivationsproblem noch Defizite im Bereich Kommunikationsfähigkeit. Sein Antrieb resultierte einzig aus einer Laune heraus. Nun saß er vor dem Computer mit seinen Gedanken bei der Studie. Wie verhielten sich Selbständige und Freiberufler, die von zu Hause aus arbeiteten: Gab es unter Ihnen tatsächlich eine Anzahl, die sich tagtäglich als Büroangestellte verkleidete und – ein weiterer zentraler Punkt der Gelehrten – ihren selbständigen Arbeitsrhythmus Zwangsbürozeiten unterstellten? Die Freiheit wählten, um sie mit dem gesellschaftlich motivieren Wahnsinn in Eigenregie zu geißeln?

Er beschloss, den heutigen Tag als Experiment des Examinierten zu betrachten. Falls sich, gruppiert um sein akkurates Auftreten Konzentration, Motivation und Kreativität in hohem Maße einstellen sollten, mehr noch als um das für Gewöhnlich lose um die Hüfte gebundene Handtuch, dann wolle er sich in diesem Aufzug auch betten. Wenn dann der nächste Tag die Produktivität des heutigen Tages noch überstiege, würde er sich übermorgen umgehend an die Zeitung wenden, die in ihrem Beitrag den Lesern verheimlichte, welche Institution und welcher Professor hinter solch wunderbaren Studien steckte, um ihnen mitzuteilen, dass er unter korrekt wissenschaftlichen Laborbedingungen die Studie fortgeführt hätte, mit dem Ergebnis, dass man sich nach drei Tagen des Schlafens im korrekten Bürooutfit besser wieder ins Handtuch hüllt, weil sich die Fliegen angelockt fühlten und den Bildschirm bekackten.

RAM hatte seinen Arbeitstag noch nicht richtig begonnen, da stand Shakiro in der Tür:
"Ich brauch Urlaub."
Sein zerknittertes Äußeres unterstrich die Aussage glaubhaft. RAM, der sich bereits nach seinem Handtuch sehnte, verstand jedoch genau in diesem Moment, den Sinn seines eigenen Auftritts. Wer sich korrekt kleidete und feste Arbeitszeiten anstrebte, hatte natürlich auch Anrecht auf Erholung.
"Ich bin dabei", kam es ihm mit einem Strahlen über die Lippen.
Ohne weitere Worte machte der Shakiro kehrt und warf sich in die gleiche Schale wie gestern.

Wenig später standen sie auf der Straße, blickten zögernd nach rechts und links, schritten dann aber entschlossen geradeaus, die U-Bahn runter, die sie zwei Stationen später ausspuckte, direkt gegenüber einem Reisediscounter.

"Tach."
"Guten Morgen."
"Moin."
"Was kann ich für sie tun?"
Shakiro begann: "Ich muss weit weg. Brauche Berge, Sonne und Strand, viel Fleisch und Fisch, auf keinen Fall Kälte, aber keine zu große Hitze. Bisschen Action, bisschen Erholung."
BertRAM ergänzte: "Guter Espresso. Kaltes Bier."
Für eine Sekunde glaubte der arme Kerl hinter dem Tresen, dass es sich bei den beiden ersten Pappnasen, die sich an diesem sonnigen Dezembertag in den Discounter begeben hatte, um Testkunden handelte. Menschen, meist zu zweit, die vom Kettenchef angeheuert, nicht zu realisierende Wünsche äußerten und dann die Verkaufsfähigkeiten unter den goldenen 12 zu berücksichtigenden Regel bewerteten, die immer griffbereit neben der Kasse lagen. Es war das erste Mal, dass er bei Kunden dachte, sie wollten ihn testen, da hatte er sich auch schon wieder gefasst und blieb seinem Grundsatz treu:
"Ich verkaufe nur, was sich lohnt und mir Spaß machen würde."
Shakiro, dem in seiner Eigenschaft als Kommissar die Fähigkeit des Gedankenlesens unabdingbar war, wusste, es wird ein guter Tag.
"Wann soll es losgehen?"
"Noch zwei, drei Cuba Libre, dann können wir starten", BertRAM wollte etwas Zeit gewinnen, um die Schneestiefel gegen Turnschuhe zu tauschen.
"Also schau ich mal ab morgen."
"Genau", RAM atmete tief durch.
"Ich hab günstige Flüge in die Dominikanische Republik, nach Costa Rica und nach Venezuela. Wobei gutes, kaltes Bier, exzellenter Kaffee und viel Fleisch sprechen für die Chávez-Republik."
Bei Chávez machte es Klick und RAM erinnerte sich an die Meldung im Radio. Doch bevor er zustimmen konnte, entschied Shakiro:
"Ich trag die Haare heute stumpf, so stumpf, so stumpf, du kleiner Schlumpf."
Reisekaufmann: "Die Anakonda sagt dem Ameisenbär gute Nacht."
Die Würfel waren gefallen. Mit zwei frisch gedruckten Tickets steuerten Shakiro und RAM in die nächstbeste lateinamerikanisch angehauchte Kneipe, um zu begießen, was zu begießen im Raume stand.



Cuba Libre!
Um Gottes Willen. Bewahren sie mich vor Barcardi-Cola, serviert im Rialtoglas mit einem winzigen Stückchen schmilzendem Irgendwas. Nein! Vielmehr nehme man ein Longdrinkglas bis oben hin gefüllt mit Eis. Dann bedarf es eines guten Rums. Bleiben wir bei Venezuela und nehmen Gran Reserva oder Cazique, Pampero ist auch in Ordnung. Cazique 500 wäre übertrieben; den lieber pur trinken. Das Glas zu circa Zweidrittel mit dem Zuckerrohrschnaps füllen, dazu Cola und eine halbe Limette reichen. Beschnuppern, verkosten: So schmeckt der Kurzurlaub für Selbstorganisierte.

Text + Fotos: Dirk Klaiber

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