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[art_4] Spanien: Granada (Romanauszug)
Für immer und nie wieder

Dieter lotste ihn geschickt auf die Plaza Nueva am Rande des Albaicin, des alten jüdisch-arabischen Viertels, dem Gegenhügel zur Alhambra, dem westlichen Gegenpunkt zum Tausendundeine-Nacht-Orient, dem Schmelztiegel aus Völkern anderer Jahrhunderte, einer Fluchtburg für tätowierte Finger, die der Welt den Vogel zeigten, gleich einer offenen Vagina mit konvex-konkav-konvulsischen Zuckungen, die das aufrecht steife fest umschloss, aufsaugte, ganz in sich verschwinden ließ, ineinanderblutend in desertierenden Stößen, jeder Quadratzentimeter Kopfsteinpflaster ein schwellender Orgasmus unter stechendem Gleichschritt in Richtung des Epizentrums von Herzvorlauferhitzern.

Es war noch genau ein Parkplatz frei, sie ließen das Auto gebührenlos stehen und tauchten wie Kapuzenschatten in die spärlich erleuchteten Gassen ein.

Die Luft war auch in den Bergen noch mild, das Kopfsteinmosaik pflasterte sich Baustein um Baustein steil nach oben, Albaicin, der Hügel. Ernst schwitzte rascher als er Atem holen konnte, Dieter schien ein festes Ziel zu haben.


In den dunklen Hauseingängen standen nicht minder helle Gestalten, die ab und an in den Lichtkegel einer Straßenlaterne traten und sofort wieder daraus verschwanden, arabische Gesprächsfetzen, nordafrikanische Gesichtszüge, ebenmäßig glatt poliert in schimmerndem Olivgrün, wunderschöne Gesichter, die sich stroboskopierend im Nachtschwarz sofort wieder auflösten, alte Frauen in maurischen Türrahmungen vor mit Kerzen ausgeleuchteten Innenhöfen sitzend, sich stumm Luft zufächelnd, die Sprache direkt aus der Holzkohlenglut vor den Augenhöhlen herauszüngelnd.

Ein junger Mann im offenen Hemd hatte leger ein Paar Skier auf seiner Schulter liegen, er hatte wohl die letzte Abendabfahrt aus dem rotglühenden Schnee der Sierra Nevada auf das Dach der Alhambra genommen und pfiff jetzt zufrieden ein Liedchen vor sich hin.

Sie wurden sehr freundlich gefragt, ob sie Haschisch kaufen wollten, mit der gleichen arabischen Freundlichkeit lehnte Dieter zuvorkommend ab, ein Araber tätschelte öffentlich lächelnd die schweren Brüste einer Frau.

Ernst hatte das Gefühl, den Gipfel einer Wüstenkarawane zu erklimmen, in seinem Nacken tauchten immer mehr Baubestandteile der Alhambra auf, Dieter blieb immer wie selbstverständlich mit stehen. Vor einer teteria, einer Art arabischer Teestube, kam alles zum Stillstand, sogar die Luft, glaubte Ernst zu spüren. Beim Eintreten mussten beide den Kopf einziehen, dick verrauchte Luft erschwerte lockere Atemübungen.

Dieter ging auf den Araber hinter der Theke zu, küsste ihn erst links, dann rechts auf die Wange und bestellte eine besondere Mischung Tee, die es nur für eine Art von Familienmitgliedern gab, soviel Verständnis ließ das schlechte Spanisch von Ernst gerade noch zu.

Seine Augen brannten, er sah sich in der orientalisch gestalteten Architektur des Raumes um, Oumane, eine Band aus Marokko mit traurig anklagenden Wüstenliedern leierte aus einem Kassettenrekorder, der bestimmt fast dreißig Jahre alt war, die hohlwangig klagende Klangwärme verteilte sich satt lastend im Raum, ganz hinten, an einem Ecktisch saß Maritta.

Maritta. Ihr Kopf ragte aus der Schulter eines hünenhaften, noch sehr jungen Arabers. Ernst starb sofort in seinem Überleben herum, biegsam wie ein Grashalm bei Windstille gab es in seinen Knien nach, im Gegenlicht des Gegengesichtes spiegelte und spaltete sich der Schmerz und ein Holzklotz aus Glücksmorphinen, Tränen schossen ihm in den Rauch zwischen seinen Augen, stammelndes Sehnsuchtswasser trat aus seinen Herzkammern und überschwemmt die Oberfläche seiner Haut.

Maritta flüsterte dem arabischen Hünen etwas zu, erhob sich fliegend aus seiner Schulter und kam rasch auf Ernst zu. Ernst spürte schon vor der Berührung den furchtbaren Aufprall. Ihre Körper bohrten sich ineinander, ohne Zeit und mit dem ganzen Raum, ein Schwindelkarussell himmelhoch über der Herzlinie, im Umhang der Zwischentöne hielt die Welt den Atem an und niemand schloss die Dunkelheit dahinter ab. Überraschungsgier und verrutschte Schwellungen. Ernst spürte deutlich seinen Körper an ihrem Körper, ihre sich steil aufbäumenden Brustwarzen rissen leichte Schnittwunden unter sein Hemd.


Viel Wein ohne hartes Brot, Farbraumschiffe pendelten durch den Raum und konservierten Lichtpunktorgien in die nächste Unendlichkeit, schillernde Dolchklingen funkelten aus ihrem Bauchnabel, zwischen ihrer Scham und ihren Brüsten zog ein Feuermagnet an ihm, der ihm ihre Innereien überstülpte. Der Boden schwankte, Ernst fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben ganz bei Trost, sie schwitzten sich in Sekundenschnelle klatschnass ineinander.

Geteiltes Leid war alles Leid, Maritta roch nach Schwermut und bunten Trümmern, ernst presste sie wie eine umgekehrte Geburt noch heftiger in sich hinein. Sie verließen einen Punkt und waren auf der Linie, über die nur noch Einleibigkeit strömte.

Als Maritta sich aus ihm herauslöste, da stand auch der Boden wieder still. Sie griff nach Ernsts schweratmender Hand, nahm sie mit zu Dieter an die Theke hinüber und umarmte Dieter so lange, bis ihr Rücken zuckte, dann löste sie sich auch von ihm. Die Tränen in ihren Augen hätten jedes Glas einer Sonnenbrille verbrannt.

Sie gingen an den Ecktisch hinten im Raum, der arabische Hüne war verschwunden, der arabische Wirt brachte drei grünlich gewässerte Teetassen, Ernst sah Maritta an und fühlte sich wie ein durchtrainierter Kokser, der den Gipfel des Schneeberges erklommen hatte, das Schweben in einer wohligen Bilderflut, die auch er nicht sehen konnte.

Maritta rauchte. Dieter rauchte nicht. Der Tee rotierte wie eine wasserlösliche Droge im Kopf. Ernst fand, dass Maritta einen Waffenschein für ihre Augen besitzen müsste. Aus den Löchern des getönten Lampenschirms fielen dreieckige Lichttropfen wie eine zerstückelte Abendsonne heraus, die ungebremst in das Eigengeweide stürzten und dort entmenschlicht verschlungen wurden.

Text + Fotos: Markus Fritsche

Lesetipp:
Granada ist ein Auszug aus: Markus Fritsche: Für immer und nie wieder
Schardt Verlag in Oldenburg, 1999, ISBN 3-933584-19-1

Markus Fritsche: Wenn Dali noch leben würde. Streifschüsse in Cadaqués
Schardt Verlag in Oldenburg, 2005, ISBN 3-89841-165-6

Bestellen könnt ihr beide Romane bei: Schardt Verlag in Oldenburg, Tel.: 0441-21779287,
E-Mail: schardtverlag@t-online.de, www.schardtverlag.de

oder direkt beim Autor:
Markus Fritsche, E-Mail: altmar.fritsche@t-online.de

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