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[art_2] Spanien: Teneriffa
Bergwanderung über den Wolken

Meine Begleiterin Cayetana wollte eigentlich nur zwei Wochen entspannten Strandurlaub in Puerto de la Cruz auf Teneriffa. Aber das war mit mir nicht zu machen. Nach immerhin fünf Tagen Sonnenbad und Planschen an der Playa Jardín schlug ich ihr daher vor: "Lass uns mal in die Berge, die Strände von oben ansehen." Begeistert ist sie nicht, schließlich habe sie ja auch keine passenden Wanderschuhe dabei. Ich muss ihr versprechen, dass es bei dieser einzigen Bergwanderung für den Rest unseres Urlaubs bleiben wird.

Morgens um 9.00 Uhr nach dem üblichen Frühstück (eine wilde Kombination aus Tostada mit gebratener Blutwurst und Mangosahne-Törtchen) stellen wir uns an die Bushaltestelle, wo der Bus nach Aguamansa abfahren wird. Neben uns ein offenbar deutsches Paar, zwei bestens gelaunte Engländerinnen, zu erkennen am überdimensionalen Sonnenbrand, und ein etwas finster, extrem kerlig aussehender Herr, eine schwere goldene Kette um den Hals, mit einer Begleitung, die seine Tochter hätte sein können.

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Hinter La Orotava beginnt der weniger befahrene Teil der Strecke und der Bus müht sich die Serpentinen hoch. Immer weniger Häuser tauchen vor den Busfenstern auf und der Wald wird immer dichter. Vor uns sitzend stubst die Landsfrau aus Alemania ihren Mann an: "Ja guck mal, das sieht ja aus wie bei uns im Schwarzwald!" Ich verdrehe die Augen nach dieser Bemerkung, die ich sofort Cayetana übersetzen muss. Nein, es sieht nicht aus wie im Schwarzwald, denn hier besteht der Wald nur aus kanarischen Kiefern und nicht aus Schwarzwald-Tannen. Inzwischen kämpft sich der Bus durch Passatwolkennebel und als wir wieder ins Sonnenlicht eintauchen, bemerkt eine der Engländerinnen entzückt, dass wir uns "above the clouds" bewegen. Einige Kilometer oberhalb von Aguamansa, auf einer Höhe von ca. 1800 Metern, stoppt der Bus und wir steigen aus. Dabei hören wir, dass der finster dreinblickende Mann mit seiner Begleiterin Russisch spricht.

Während alle anderen losziehen, bleiben wir kurz stehen, um die Aussicht zu genießen. Cayetana bringt ihre Fotokamera zum Einsatz und erfreut sich noch bester Laune. Wir holen das Paar aus dem Schwarzwald ein, das mit einer Landkarte wild gestikulierend an einer Weggabelung steht. Als wir an ihnen vorbei wollen, fragt der männliche Part auf unverfälschtem Schwäbisch: Ach entschuldige se bidde, welches Weegle führt blos nuff uff selle Teide?" Wie kommt ein alemannischer Tourist in einem einsamen Wald auf einer afrikanischen Insel in der Nähe Südmarokkos darauf, dass hier irgendjemand Schwäbisch versteht? Cayetanas Erscheinung mit ihrer pechschwarzen Lockenmähne und den andalusischen, fast schwarzen Mandelaugen ermutigt jedenfalls niemanden zu glauben, sie würde ein Wort Deutsch verstehen und ich sehe auch nicht deutsch aus. Deshalb reagiere ich mit pädagogischem Ernst: Ich gebe vor, kein Wort verstanden zu haben, beuge mich über die (deutsche) Wanderkarte und zucke mit den Schultern. Cayetana sprudelt in einer Minute zehn unfassbar schnelle Sätze mit andalusischem Akzent hervor, die noch nicht einmal ein Katalane verstanden hätte, und zeigt abwechselnd in alle vier Himmelsrichtungen. Gnadenlos überlassen wir die beiden orientierungslosen Schwaben ihrem Schicksal. Und stolpern selbst weiter durch einen Graben im Wald, der von Erosion geschaffen wurde. Hier vermuten wir die Fortsetzung des Wanderwegs, der in der Tat schlecht ausgeschildert ist. Wir steigen immer höher und geraten schnell außer Atem.

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Der Schweiß färbt unsere T-Shirts dunkel, während wir uns weiter nach oben kämpfen. Nachdem Cayetana sich leicht den Fuß verstaucht hat, will sie schon umkehren. "Nach einer Viertelstunde? Kommt nicht in Frage!" Sie quengelt etwas, aber als ich verspreche, dass wir spätestens um vier Uhr nachmittags wieder zurück fahren, damit sie sich drei Stunden lang für die Samstags-Party im "Vulcano" auf Hochglanz bringen kann, ist sie zufrieden.

Auf etwa 2.300 Metern Höhe haben wir den Wald unter uns gelassen und bewegen uns über einen schmalen Felspfad, links immer den Abgrund vor Augen. Wenn hier jemand ausrutschen würde, wäre ein Sturz von 80 - 100 Meter in die Tiefe angesagt. Deshalb können wir kaum die grandiose Aussicht auf das wabernde Wolkenmeer und die Kierferninseln genießen, sondern tasten uns vorsichtig, immer wieder nach Felsvorsprüngen greifend, weiter die Schlucht entlang.

Cayetana bleibt abrupt und mit merkwürdigem Grinsen stehen und zeigt auf die Stelle, wo der Pfad wieder breiter wird. Da vorn in einer Kurve über dem Abgrund steht in Pose der russische Super-Macho, der sich natürlich längst seines Hemdes entledigt und einige wirklich angsteinfößende Tattoos freigelegt hat. Seine Schulter ziert der Kopf eines Schneeleoparden. Er zeigt seiner Freundin irgendwas am Horizont und fotografiert minutenlang offenbar dasselbe Motiv. Wir blicken in diese Richtung. "Der Teide!", ruft Cayetana entzückt und vergisst ihre Schmerzen. Fasziniert betrachten wir Spaniens höchsten Gipfel, der nicht nur über dem Atlantik, sondern über scheinbar endlosem Kiefernwald und einem Kranz aus Wolken thront.

Ein aggressives Bellen reißt uns aus unserem Gipfeltraum. Ein großer Schäferhund taucht in der Steilkurve des Wanderwegs auf, wo sich der russische Supermann und seine blonde Barbie befinden. Wir haben schon Angst um den Hund – ob der Putin-Klon ihn mit bloßen Händen zerquetschen wird? Doch dann geschieht das Unglaubliche vor unseren Augen: der Möchtegern-Herkules packt seine Freundin und hält sie wie einen Schutzschild vor sich, um den Hund abzuwehren – er hat Angst!
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Der Hund bellt wütend weiter, einen Moment scheint es, als würde er zum Sprung auf das verängstigte Paar ansetzen. Die blondgefärbte Begleiterin des Russen findet die Situation nicht gerade verlängerungswürdig. Da biegen die beiden sportlichen Engländerinnen um die Ecke – und brechen beim Anblick des sich selbst in Frage stellenden Machos, der immer noch seine Freundin schützend vor sich hält, in weithin schallendes, nur ganz am Rande schadenfrohes Lachen aus. Das wiederum erschreckt den Hund, der nun bergab hinter der Kurve des Bergpfads verschwindet.

Sofort verhalten sich alle, als sei nichts gewesen: die Engländerinnen schalten zurück vom lauten Lachen zu einem glucksenden Kichern, die Russin wirft ihrem Millionär ohne Manieren einen sehr bösen Blick zu, zieht es aber vor, aus finanziellen Gründen zu schweigen, so scheint es. Er streift sich erst einmal sein Hemd über, denn den Schneeleoparden hat er nun wirklich nicht rausgelassen, ergreift ihre Hand und tritt den Rückzug an. Und wir sind froh, dass uns der Hund in Ruhe gelassen hat und genehmigen uns auf den Schreck kurz hinter der Kurve, auf einem Felsblock mit spektakulärem Ausblick, ein Picknick.

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Wir schließen die Augen und atmen tief den würzigen Kiefernduft ein. Während Cayetana schon von den Salsa-Rhythmen der kommenden Nacht träumt, genieße ich die Ruhe. Auf dem Rückweg, der immerhin zwei Stunden dauert, begegnen wir keinem Menschen und wandern allein durch diesen Märchenwald. Auf dem mittleren Wegabschnitt präsentiert sich der Wald auf phantastische Weise: alle Bäume sind dicht bedeckt mit silbergrauen Flechten, die von überall herab hängen wie Lametta an Weihnachtsbäumen. Der ganze Wald sieht aus als wäre er für einen Fantasy-Film dekoriert. Auf der Fahrt zurück zum Meer sind wir die einzigen Touristen im Bus. Unten am Hafen bereitet sich die Jugend darauf vor, die Nacht durchzutanzen, während über uns der von Wanderern verlassene Wald sich in nebliges Schweigen hüllt. Cayetana sieht zufrieden aus und flüstert, dass sie Lust hätte auf eine zweite Bergwanderung – am vorletzten Tag.

Text + Fotos: Berthold Volberg

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